Aktuelles
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Zum Thema Arbeitsrecht
- Arbeitnehmerrechte gestärkt: Regelmäßig befristete Arbeitszeiterhöhungen können rechtswidrig sein
- Grundsatz der Entgeltgleichheit: Differenzierungskriterien müssen arbeitgeberseitig hinreichend und konkret dargestellt werden
- Kündigung Schwangerer: EuGH hält Klagefrist von lediglich zwei Wochen für zu kurz
- Lieferdienstfahrer dürfen wählen: Eigenständiger Betriebsrat für räumlich und organisatorisch abgegrenzten Betriebsteil
- Schimmel in Frischetheke: Stellvertretender Filialleiter lediglich zu Stichprobenkontrollen verpflichtet
Dass Arbeitgeber manchmal auf merkwürdige Ideen kommen, ist nichts Neues. Dennoch darf der folgende Versuch, prinzipiell befristete Arbeitszeiterhöhungen anzubieten, überraschen. Denn das Arbeitsgericht Köln (ArbG) musste sich die Stadt Köln selbst als beklagte Arbeitgeberin vornehmen.
Die Stadt Köln bietet seit dem Jahr 2013 grundsätzlich nur unbefristete Teilzeittätigkeiten und darüber hinaus regelmäßig befristete Arbeitszeiterhöhungen an, um dann bei einer Bewährung eine unbefristete Vollzeitstelle zu ermöglichen. Ein bei ihr als "Call-Center-Agent Bürgerdienste" angestellter Mann hatte nun aber die unbefristete Erhöhung seiner Arbeitszeit um 25 % beantragt. Hier war die Arbeitgeberin mit der Qualität der Arbeit des Mitarbeiters nicht einverstanden und nahm dies zum Anlass, ihm nur eine befristete Arbeitszeiterhöhung anzubieten. Daraufhin klagte der Arbeitnehmer und meinte, die Ablehnung der unbefristeten Arbeitszeiterhöhung sei ohne sachlichen Grund unwirksam.
Das sah das ArbG genauso und entschied, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine unbefristete Beschäftigung von 100 % bei einer tariflichen Arbeitszeit von 39 Wochenstunden habe. Zur Begründung berief sich das Gericht darauf, dass der Arbeitgeber einen sachlichen Grund vorweisen müsse, wenn er die Arbeitszeit eines unbefristeten Teilzeitarbeitsverhältnisses dauerhaft für einen befristeten Zeitraum um mindestens 25 % aufstocke. Das sei notwendig, damit nicht eine unzulässige Umgehung des gesetzlichen Befristungsrechts drohe, wenn der Grundarbeitsvertrag nur mit einem relativ geringen Stundenanteil geschlossen werde, faktisch allerdings eine Vollzeittätigkeit ausgeübt wird, deren Verlängerung der Arbeitgeber sich aber immer wieder erneut vorbehält. Und eben jenen Umstand sah das Gericht hier auch als gegeben an.
Hinweis: Die befristete Erhöhung der Arbeitszeit bringt also für den Arbeitgeber stets Risiken mit sich. Im Zweifel kann der Rechtsanwalt des Vertrauens weiterhelfen - und zwar auf beiden Seiten.
Quelle: ArbG Köln, Urt. v. 25.04.2024 - 8 Ca 423/24
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Der Gendergap bleibt auch 2024 hartnäckig: Frauen verdienen weniger als Männer. Argumentativ beharren Arbeitgeber oft auf dem Standpunkt, dass es schließlich Verhandlungssache sei, welches Gehalt man für seine Arbeit verlange. Rechtlich interessant wird es aber, sobald es um vergleichbare Positionen geht, auf denen Mann und Frau arbeiten. Dann darf es nämlich gerade keinen Unterschied in der Bezahlung geben. Einen solchen Fall nahm sich kürzlich das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) vor.
Eine Angestellte begehrte dort mit einer Klage unter Berufung auf das Entgelttransparenzgesetz eine höhere Vergütung. Die Abgrenzung der einschlägigen männlichen Vergleichsgruppe und die Höhe von deren Vergütung standen fest. Demnach waren jedenfalls die Gehaltsbestandteile "Grundgehalt" und "Dividendenäquivalent" bei der Frau geringer als im Median ihrer männlichen Vergleichsgruppe.
Das reichte dem LAG aus. Eine festgestellte Vergütungsdifferenz zwischen dem Arbeitsentgelt einer Arbeitnehmerin und dem der männlichen Vergleichsgruppe ist ein Indiz für eine Verletzung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit. Die entsprechende Vermutung muss der Arbeitgeber widerlegen. Die Arbeitgeberin hatte sich hier zwar darauf berufen, dass die männlichen Kollegen durchschnittlich etwas länger im Unternehmen beschäftigt seien und dass die Frau "unterdurchschnittlich performed" hätte. Damit habe sie jedoch die von ihr angewandten Differenzierungskriterien nicht hinreichend konkret dargestellt. Denn aus ihren Angaben ging nicht hervor, wie sie die Kriterien "Berufserfahrung", "Betriebszugehörigkeit" und "Arbeitsqualität" im Einzelnen bewertet und wie sie diese Kriterien zueinander gewichtet.
Hinweis: Es wird für Arbeitgeber also schwieriger, unterschiedliche Löhne zu begründen, wenn keine nachvollziehbaren Gründe greifbar sind.
Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 19.06.2024 - 4 Sa 26/23
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Grundsätzlich muss binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung eine dagegen gerichtete Klage vor dem Arbeitsgericht eingegangen sein. Was aber, wenn eine schwangere Arbeitnehmerin, der gekündigt wird, gar nicht weiß, dass sie schwanger ist? Dann muss sie nach dem Gesetz binnen zwei Wochen nach Kenntniserlangung von der Schwangerschaft die Klage einreichen. Ob diese Frist lang genug ist, musste der Europäische Gerichtshof (EuGH) klären.
Die Angestellte eines Pflegeheims klagte gegen ihre Kündigung. Als sie ihre Kündigungsschutzklage eingereicht hatte, war die dreiwöchige Frist zum Einreichen der Klage bereits überschritten, was daran lag, dass sie erst danach von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erlangt hatte. Zudem hatte sie nun aber auch die weitere Frist von zwei Wochen für den Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage verpasst. Nun wollte das hiermit befasste deutsche Gericht vom EuGH wissen, ob diese Frist nicht zu kurz sei, und ob sie mit der EU-Richtlinie über schwangere Arbeitnehmerinnen überhaupt vereinbar sei.
Der EuGH entschied, dass die deutsche Zweiwochenfrist mit dem europäischen Recht nicht vereinbar sei. Das begründete der EuGH damit, dass sie dem Effektivitätsgrundsatz nicht genüge. Nach der deutschen Regelung verfüge eine schwangere Arbeitnehmerin, die zum Zeitpunkt ihrer Kündigung Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hat, über eine Frist von drei Wochen, um Klage zu erheben und ihre Rechte geltend zu machen. Hingegen habe eine Arbeitnehmerin, die vor Verstreichen dieser Frist von ihrer Schwangerschaft nichts weiß, nur zwei Wochen Zeit, um zu beantragen, eine solche Klage zu erheben. Welche Frist genau anzusetzen ist, muss nun das deutsche Gericht entscheiden - zwei Wochen sind jedoch zu kurz.
Hinweis: Die Entscheidung zeigt, wie wichtig es ist, Fristen einzuhalten. Eine Kündigungsschutzklage muss im Regelfall binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht erhoben worden sein.
Quelle: EuGH, Urt. v. 27.06.2024 - C-284/23
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Die digitalen Zeiten machen es möglich, dass Arbeitnehmer zunehmend örtlich flexibel eingesetzt werden können. Ob und wie dann noch eine Trennung zu anderen Zuständigkeitsgebieten und betrieblichen Organisationsstrukturen möglich ist, war eine Frage für Lieferdienstfahrer, die per App eingesetzt wurden. Über deren Anliegen, einen eigenen Betriebsrat zu bekommen, hat das Arbeitsgericht Aachen (ArbG) entschieden.
Die Fahrer eines Lieferdiensts für das Liefergebiet Aachen wählten im Mai 2023 einen aus drei Personen bestehenden Betriebsrat. Der Arbeitgeber hielt die Betriebsratswahl jedoch für unwirksam und ging gegen die Betriebsratswahl gerichtlich vor. Er meinte, dass das Liefergebiet Aachen über keine hinreichende organisatorische Selbständigkeit verfüge und die Fahrer aus Aachen einen einheitlichen Betrieb mit denen aus Köln bildeten.
Das ArbG war jedoch anderer Auffassung, lehnte die Wahlanfechtung ab und stellte klar, dass auch in einem qualifizierten Betriebsteil wie dem Liefergebiet Aachen ein eigenständiger Betriebsrat gewählt werden könne. Das begründete das Gericht damit, dass das Liefergebiet Aachen gegenüber dem Kölner Hauptgebiet in organisatorischer und räumlicher Hinsicht abgrenzbar sei. Dafür spreche die Ausübung des Weisungsrechts. Es genüge insoweit, dass im Rahmen der digitalen App alle Arbeitnehmer der abgrenzbaren Einheit in Aachen den Weisungsrechten einer Leitungsmacht unterstehen, die für die Einheit zuständig sei. Das war hier der Fall. Ein weiterer Punkt war, dass es keinen Austausch von Beschäftigten zwischen Aachen und Köln gebe.
Hinweis: Fahrer eines Lieferdiensts, die mittels App eingesetzt werden, können nach dieser Entscheidung also für ein abgrenzbares Liefergebiet einen eigenständigen Betriebsrat wählen.
Quelle: ArbG Aachen, Beschl. v. 23.04.2024 - 2 BV 56/23
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Bei dem Wort "Frischetheke" sollte man nicht an Schimmel denken müssen. Dennoch passiert es, dass das dort angebotene Obst und Gemüse nicht so frisch ist wie erwartet. Die Frage, die das Arbeitsgericht Siegburg (ArbG) zu beantworten hatte, war, wer für einen solchen - sich gar wiederholenden - Lapsus verantwortlich sei. Der Arbeitgeber meinte hier: der stellvertrende Filialleiter. Richtig?
Ein Arbeitnehmer war seit sieben Jahren als stellvertretender Filialleiter eines Discounters beschäftigt. In seine Zuständigkeit fiel auch die Frischetheke. Bei einer Kontrolle entdeckte die Regionalleitung dort verdorbene Ware. Dafür mahnte die Regionalleitung den Arbeitnehmer ab. Als sich der Vorfall wiederholte und bei einer weiteren Kontrolle wieder verschimmeltes Obst und Gemüse in der Frischetheke gefunden wurde, kündigte der Arbeitgeber dem stellvertretenden Filialleiter fristlos. Dieser legte daraufhin eine Kündigungsschutzklage ein und berief sich darauf, dass er die Frischetheke des Supermarkts immer stichprobenartig kontrolliert habe. Dabei sei ihm allerdings nichts aufgefallen. Zudem habe er die ihm disziplinarisch unterstellten Kollegen angewiesen, nach verdorbener Ware zu suchen. Auch diesen sei dabei keine verschimmelte Ware aufgefallen.
Das ArbG bestätigte, dass der Arbeitnehmer durchaus berechtigt gewesen sei, die Warenkontrolle auf Mitarbeiter zu übertragen, die ihm disziplinarisch unterstellt gewesen seien. Schließlich könne ein stellvertretender Filialleiter nicht sämtliche anfallenden Aufgaben selbst wahrnehmen. Dies habe zur Folge, dass der Arbeitnehmer seinerseits nur Stichprobenkontrollen habe durchführen müssen - und dass er die stichprobenartigen Kontrollen nicht ordnungsgemäß durchgeführt habe, sei nicht nachgewiesen worden. Somit war die erfolgte Kündigung als nicht rechtmäßig anzusehen.
Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Vieles spricht jedoch für die Richtigkeit. Vorgesetzte müssen in der Regel nicht für Fehler persönlich einstehen.
Quelle: ArbG Siegburg, Urt. v. 26.06.2024 - 3 Ca 386/24
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Zum Thema Familienrecht
- Keine Übertragung von Bagatellen: Grundrentenentgeltpunkte im Versorgungsausgleich
- Prozesstaktik bei besonderer Konstellation: Über den Verfahrenswert im vorzeitigen Zugewinnausgleich
- Schwammige Umgangsvereinbarung: Kein Ordnungsgeld nach zufälligen Treffen
- Sittliche Pflicht: Bürgergeldbezieher müssen keinen Kindesunterhalt aus Geld für häusliche Pflege zahlen
- Zusammenspiel von Versorgungsausgleich und Unterhalt: Versorgungsausgleichsanteil der Rente prägt nicht den ehelichen Bedarf
Wer 33 oder mehr Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat, erwirbt sogenannte Grundrentenpunkte für langjährig Versicherte. Im Rahmen des Versorgungsausgleichs bei Scheidung stellt sich die Frage, ob diese Grundrentenpunkte separat zu betrachten seien oder womöglich eher als "Bagatelle" nicht aufgeteilt werden müssten. In einem solchen Fall war kürzlich das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) gefragt.
Hier hatte die Ehefrau neben dem "normalen" Anrecht in der allgemeinen Rentenversicherung einen Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sogenannte Grundrentenentgeltpunkte) erlangt. Der Grundrentenanteil allein betrachtet lag als Kapitalwert unterhalb der 2023 geltenden Bagatellgrenze von 4.074 EUR. Nun stellte sich die Frage, ob diese Bagatelle einen zusätzlichen Aufwand begründen könne. Zwar entstehe bei der Grundrente durch die Übertragung der Entgeltpunkte als solche kein besonderer Verwaltungsaufwand. Im Alter wäre dann aber zu prüfen, ob es überhaupt zur Auszahlung kommt. Das hängt vom Einkommen ab. Ob dieser Aufwand ins Gewicht fällt, beurteilten die Gerichte bisher verschieden. Die Gerichte in Frankfurt, Oldenburg und Braunschweig sahen darin einen zu hohen Aufwand. Das Bamberger Gericht war der Auffassung, dass aufgrund des automatischen Abgleichs mit den Finanzbehörden dieses Verfahren recht mühelos verlaufen wird.
Der Senat des hier urteilenden OLG schloss sich nun der zuerst genannten Auffassung an. Es bedürfe schließlich nicht nur des jährlichen Abrufs der Daten, sondern auch der anschließenden Berechnung, ob und in welcher Höhe es zu einer Anrechnung käme. Zudem könne der an sich vorgesehene automatisierte Datenabgleich ins Leere gehen, wenn trotz der Steuererklärungspflicht keine Steuererklärung abgegeben wurde oder der Berechtigte nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet sei. Das OLG bezog in die konkrete Abwägung noch mit ein, dass der Ehemann angesichts seiner wirtschaftlichen Verhältnisse einschließlich seiner Versorgungssituation nicht dringend auf den Ausgleich dieser letztendlich zusätzlichen 12 EUR monatlich angewiesen sei.
Hinweis: Der Rechtsmittelweg zum Bundesgerichtshof wurde zugelassen, um die Rechtsprechung zu vereinheitlichen. Dazu kommt es aber nur, wenn der Ehemann auf seine 12 EUR so viel Wert legt, dass er auf sein Kostenrisiko zur Rechtsfortbildung beitragen will.
Quelle: OLG Stuttgart, Beschl. v. 27.06.2024 - 16 UF 82/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 09/2024)
Üblicherweise wird mit der Ehescheidung darüber entschieden, wie viel Zugewinn die Eheleute gemacht haben und wem ein Ausgleich zusteht. Wenn es um große Summen geht - im Fall des Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) um mehr als 2 Mio. EUR Ausgleichsforderung -, lohnt es sich für den Ausgleichsberechtigten, über einen anderen prozessualen Verlauf nachzudenken, um vor der Scheidung schon in Genuss der schnellen Ausgleichszahlung oder einer guten Verzinsung zu kommen.
Das Anliegen der Antragstellerin beschränkte sich hier auf das Fälligkeitsinteresse. Dieses Interesse ist in Abhängigkeit von der Ausgleichsforderung und der zu erwartenden Dauer bis zur Rechtskraft des Scheidungsausspruchs zu schätzen. Weil auch dieses (Zins-)Interesse von der Höhe des zu erwartenden Zugewinnausgleichs abhängt, kann hiervon ein Bruchteil angesetzt werden. Dieser Bruchteil ist in der Regel geringer als mit einem Viertel des voraussichtlichen Anspruchs zu bewerten, weil angesichts des rechtshängigen Scheidungsverfahrens zu erwarten ist, dass die Ehe ohnehin in nicht allzu ferner Zeit aufgelöst wird. Im hier zu entscheidenden Fall hätte aber die Ermittlung der Immobilienwerte zu einer erheblichen Verzögerung des Scheidungsverbundverfahrens führen können. Der Senat schätzte die zu erwartende Ausgleichsforderung anhand der (bislang) unwidersprochenen Angaben der Ehefrau auf mindestens 2.035.000 EUR und setzt den Verfahrenswert auf 10 % hiervon fest.
Hinweis: Ein solches Verfahren kann man immer dann einleiten, wenn die Trennung mehr als 36 Monate her ist - sogar ohne dass ein Scheidungsverfahren läuft oder ohne dass man jemals geschieden werden möchte.
Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 05.07.2024 - 11 UF 560/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 09/2024)
Ein Gerichtsbeschluss nutzt nur dann etwas, wenn man ihn auch durchsetzen kann oder aus der Nichtbefolgung Nachteile entstehen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) machte in seiner Entscheidung nochmal deutlich, dass klare Fomulierungen unerlässlich für die Durchsetzbarkeit von Beschlüssen sind.
Eine Mutter wollte gegen den Vater ihrer Kinder ein Ordnungsgeld festsetzen lassen. Ein Kind wohnte bei ihr, das andere beim Vater, und der jeweilige Kontakt zum anderen Elternteil war streitig gewesen. Einen Monat zuvor hatten die Eltern mit gerichtlicher Hilfe eine Einigung zu Protokoll gebracht, die das Familiengericht per Beschluss gebilligt und die Beteiligten darauf hingewiesen hatte, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 25.000 EUR - ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten - verhängt werden könne. In der Umgangsvereinbarung hatte es eine genaue Regelung der Umgangszeiten beider Eltern gegeben und zum Abschluss die Formulierung: "Darüber hinaus sind sich die Eltern einig, dass außerhalb der vereinbarten Umgangszeiten kein Kontakt zu dem jeweiligen Kind gesucht wird." Die Mutter warf dem Vater nun vor, hiergegen fortlaufend zu verstoßen und das Kind, das bei ihr wohnte, an der Schule abzufangen. Das Problem hierbei: Beide Kinder besuchten dieselbe Schule.
Das OLG lehnte die Festsetzung eines Ordnungsmittels ab, weil die Vereinbarung nicht so konkret gefasst worden war, dass man dem Vater einen Verstoß vorwerfen könne. Gerade weil das bei ihm lebende Kind dieselbe Schule wie sein Geschwisterkind besuche, könne man ohne nähere Konkretisierung nicht beurteilen, ob Kontakt "gesucht" worden sei oder ob es sich um zufällige Begegnungen gehandelt habe. Das Suchen von Kontakt impliziere ein aktives Tun zur Herbeiführung des Kontakts. Eine Verpflichtung, zufällige Kontakte zu verhindern oder durch aktives Entfernen abzubrechen, sei der Vereinbarung nicht zu entnehmen.
Hinweis: Wer Wert auf ein solches Kontaktverbot legt, muss schon beim Formulieren des Vereinbarungstexts darauf achten, dass es so bestimmt und unzweideutig ist, dass es dadurch vollstreckungsfähig wird.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.07.2024 - 18 WF 14/24
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Wenn ein Unterhaltspflichtiger den Kindesunterhalt nicht leisten kann, springt zumeist die Unterhaltsvorschusskasse des Jugendamts ein. Ob Unterhaltspflichtige, die neben Bürgergeld zusätzlich Geld für eine häusliche Pflege bekommen, davon Unterhalt zu zahlen haben, klärte das Oberlandesgericht Bamberg (OLG)
Hier ging es um die Mutter eines minderjährigen Kindes, die von Bürgergeld lebte. Das Kind wohnte beim Vater. Zusätzlich bekam die Frau von der Mutter ihres Lebensgefährten, die mit im Haushalt wohnte, Geld als Gegenleistung für häusliche Pflege und als Zuschuss zu den Lebenshaltungskosten. Trotz dieses Zusatzverdiensts zahlte die Mutter keinen Kindesunterhalt. Daher sprang die Unterhaltsvorschusskasse beim Jugendamt ein und verklagte die Mutter auf Regress der übergegangenen Unterhaltsansprüche. Dieses Verfahren verlor das Jugendamt jedoch.
Laut OLG sind die Zahlungen nicht als Einkommen zu qualifizieren. Die Pflegeleistungen werden aufgrund einer anzuerkennenden engen persönlichen Beziehung im Rahmen einer bestehenden sittlichen Pflicht erbracht, weshalb diese Einnahmen kein neben dem Bürgergeldbezug zu berücksichtigendes Einkommen sind.
Hinweis: Das bedeutet übrigens nicht, dass aus Sicht des Kindes nicht geprüft werden könnte, ob die Mutter fiktiv leistungsfähig ist, weil sie zum Mindestlohn erwerbstätig sein könnte und ihre Erwerbsobliegenheit verletzt. Diese Überlegung steht aber nur dem Unterhaltsberechtigten selbst zu, nicht der Unterhaltsvorschusskasse.
Quelle: OLG Bamberg, Beschl. v. 19.07.2024 - 2 UF 43/24 e
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Bei der Unterhaltsberechnung wird zwischen "ehelichem Bedarf" und "Bedürftigkeit" unterschieden. Aus dem Bedarf ergibt sich, was am Ende zur Verfügung stehen muss, bei der Bedürftigkeit wird das Eigeneinkommen angerechnet. In einfachen Fällen sind die Beträge bei Bedarf und Bedürftigkeit identisch. Wenn der Berechtigte berentet ist und vom Versorgungsausgleich profitiert, während der Pflichtige noch berufstätig ist und keine aktuelle Kürzung hinnehmen muss, kommt es zu Terminen wie hier vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (OLG).
Die 59 Jahre alte Ehefrau bezog bereits seit zehn Jahren eine volle Erwerbsminderungsrente von monatlich rund 1.400 EUR. Ein Minjob war ihr gemäß einem ärztlichen Gutachten nicht zumutbar, weil sie nach einer Darmkrebserkrankung unter Stuhlinkontinenz litt und aus Scham ihre Wohnung kaum verließ. Nun verlangte sie nach 28 Ehejahren dauerhaft Nachscheidungsunterhalt. Ihr Mann wollte gar nichts zahlen - und wenn doch, dann nicht lange. Durch den Versorgungsausgleich erhöhte sich die Rente der Ehefrau nun um monatlich 250 EUR, und das OLG nahm sich der Aufgabe an, zu berechnen, was das bedeutet.
In dieser Konstellation beinhaltete das, dass nur der kleine selbsterarbeitete Rentenbetrag von 1.400 EUR zusammen mit dem Einkommen des Mannes (hier 2.400 EUR) den ehelichen Bedarf prägte. Davon wurde aber der volle Rentenbetrag inklusive des Versorgungsausgleichs (mithin 1.650 EUR) abgezogen. Mit diesen Zahlen kämen demnach 250 EUR Unterhalt heraus. Diesen Unterhalt begrenzte das OLG zudem trotz der langen Ehedauer auf vier Jahre, da die ehebedingten Nachteile durch den Versorgungsausgleich bereits aufgefangen worden waren.
Hinweis: Es gibt keine Rechenformel, nach der sich aus einer gewissen Ehedauer ein Zeitraum für Nachscheidungsunterhalt ergibt, das hat das OLG wieder betont. Abwägungskriterien für die konkrete Bestimmung einer Übergangsfrist sind neben dem Alter des Unterhaltsberechtigten die Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen, die Länge des Zeitraums, in dem bereits Trennungsunterhalt gezahlt wird, sowie die beiderseitigen Vermögensverhältnisse.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 12.06.2024 - 13 UF 153/21
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Zum Thema Mietrecht
- Fehlverhalten des Betreuers: Zwangsräumung wegen Zahlungsverzugs im Pflegeheim rechtens
- Hausfrieden gestört: Fristlose Kündigung nach erfolglosen Abmahnungen zu Prostitution in Wohnhaus
- Keine "hoheitlichen Maßnahmen": Keine Anpassung der gewerblichen Miethöhe wegen des Ukrainekriegs
- Missglückte Mahd: Kein Abzug "neu für alt" bei Ersatz eines nur in Teilen beschädigten Maschendrahtzauns
- Papierlose Verwaltung: Neues zur digitalen Betriebskostenabrechnung
Das Landgericht Lübeck (LG) musste klären, was eigentlich mit Bewohnern eines Pflegeheims passiert, wenn die Kosten für den Heimplatz nicht ordentlich beglichen werden.
Eine ältere Frau stand unter rechtlicher Betreuung und wohnte in einem Pflegeheim. Trotz mehrfacher Mahnungen zahlte sie jahrelang nicht das volle Pflegegeld. Schließlich kündigte das Pflegeheim den Heimvertrag wegen offener Beträge von rund 35.000 EUR und legte eine Räumungsklage ein.
Das LG war der Auffassung, dass die Kündigung wegen des erheblichen Zahlungsrückstands wirksam war. Der Betreuer der Frau hatte sich nämlich jahrelang nicht ausreichend um eine vollständige Zahlung des Pflegegelds gekümmert und sich ebenso wenig bemüht, anderen Wohnraum für die Frau zu finden. Die Frau muss nun die Verantwortung für das Fehlverhalten ihres Betreuers übernehmen.
Hinweis: Auch die wirtschaftliche Belastung des Pflegeheims und damit letztendlich auch die Situation der anderen Heimbewohner müssen berücksichtigt werden. Ob die Räumung gesundheitlich zumutbar ist, steht auf einem ganz anderen Blatt. Diese Frage wird dann interessant, wenn die Räumung tatsächlich vollstreckt wird.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 25.04.2024 - 5 O 197/23
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Immer wieder kommt es im Mietrecht zu Prozessen, die klären sollen, was als störend empfunden werden darf und was hingenommen werden muss. Vorsicht ist immer geboten, wenn in einer Mietwohnung ein Gewerbe betrieben wird - auch wenn dieses das angeblich älteste der Menschheitsgeschichte ist. Mit einer Kombination beider Risiken für ein gesundes Mietverhältnis hatte es kürzlich das Amtsgericht Halle-Saalkreis (AG) zu tun.
Eine Mieterin hatte die fristlose Kündigung nach mehreren Abmahnungen wegen einer nachhaltigen Störung des Hausfriedens erhalten. Ihre Vermieterin meinte nämlich, sie ginge der Prostitution in der Mietwohnung nach, und legte daher eine Räumungsklage ein.
Dem konnte das AG nach einer entsprechenden Beweisaufnahme nichts entgegensetzen. Die angehörten Zeuginnen hatten glaubhaft ausgesagt, dass die Mieterin von mindestens fünf Männern pro Tag besucht wurde. Dabei handelte es sich um Leute, die sich auch nur kurze Zeit in der Wohnung aufhielten. Außerdem hatte eine Zeugin geschildert, dass sich die Mieterin mit einem halbnackten Mann im Flur um die Höhe des Entgelts für sexuelle Dienstleistungen gestritten habe. Deshalb gab das AG der Räumungsklage statt. Die gewerbsmäßige Prostitution in einem Wohnhaus, in dem auch Kinder wohnen, stellte offensichtlich eine pflichtwidrige Nutzung der Wohnung dar.
Hinweis: Immer dann, wenn Wohnnutzung und Gewerbenutzung aufeinandertreffen, kann es zu Problemen kommen. Eine gewerbsmäßige Prostitution hat in einem Wohnhaus sicherlich nichts zu suchen.
Quelle: AG Halle-Saalkreis, Urt. v. 09.01.2024 - 97 C 607/23
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Der Krieg in der Ukraine hat viele Konsequenzen für die hiesige Wirtschaft. Ob sich diese auch im Mietrecht widerspiegeln - so wie es in einigen Fällen in der Corona-Pandemie war -, hing auch vom Ausgang des folgenden Falls ab, der vor dem Landgericht Köln (LG) verhandelt wurde.
Eine Mieterin von Gewerbeflächen schrieb am 29.11.2022 an ihre Vermieterin. Sie wies auf erhebliche Umsatzrückgänge wegen außergewöhnlicher Umstände durch den Ukrainekrieg hin, insbesondere auf den Anstieg der Rohstoffpreise und Energiekosten und die damit verbundenen drastischen Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Bäckereibranche. Sie bat um eine Anpassung der festgelegten Miete und zahlte daraufhin in den Monaten Dezember 2022 bis einschließlich März 2023 nur die halbe Miete. Die Vermieterin war hingegen der Ansicht, der Mieterin stehe kein Anspruch auf Anpassung des Mietvertrags zu, und klagte das fehlende Geld ein - mit Erfolg.
Das LG meinte auch, dass eine Anpassung der Miethöhe eines gewerblichen Mietvertrags wegen "Wegfalls der Geschäftsgrundlage" im Zuge des Ukrainekriegs nicht geboten sei. Dies gelte nach den Richtern trotz der jüngeren Rechtsprechung in einigen Fällen, in denen es etwa zu pandemiebedingten Schließungen von Einzelhandelsgeschäften kam. Die systematische und gesetzlich klar verankerte Risikoverteilung dürfe jedoch nicht unterwandert werden.
Hinweis: Zwar hatte die Rechtsprechung wegen der Corona-Schließungen Anpassungen der Mietverträge vorgenommen - hier lagen jedoch Auswirkungen von hoheitlichen Maßnahmen vor. Das ist anders zu beurteilen als Preiserhöhungen aufgrund von Kriegsgeschehnissen.
Quelle: LG Köln, Urt. v. 16.04.2024 - 14 O 89/23
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Streitigkeiten unter Nachbarn gehören zum Alltag vor den Amtsgerichten. Im folgenden Streit ging es um einen Klassiker, der es einst bis in die deutschen Singlecharts geschafft hatte: um einen Maschendrahtzaun. In dieser aktuellen Version war das Amtsgericht Trier (AG) mit der Lösung des Nachbarschaftsstreits betraut.
Auf einem Wiesengrundstück wurde Gras mittels eines Traktors und eines Heckmähwerks geerntet. Diese Arbeiten führten ein Mann und einer seiner Söhne durch. Dabei wurde ein Maschendrahtzaun beschädigt, der in weniger als 0,5 m Abstand zur Grundstücksgrenze stand. Das ergab jedenfalls die Anhörung eines Sachverständigen. Der Nachbar verlangte nun Schadensersatz von rund 1.600 EUR für den beschädigten Zaun. Der Schädiger meinte hingegen, es sei in jedem Fall ein Abzug "neu für alt" vorzunehmen, da der Maschendrahtzaun älter sei und nun erneuert werden würde. Ferner hätte der Nachbar die entsprechenden Zaunabstände nicht eingehalten - somit würde ein Mitverschulden vorliegen. Schließlich klagte der geschädigte Nachbar sein Geld ein.
Das AG gab der Klage statt und hat den Schadensbetrag gemäß seiner Befugnis laut § 287 Zivilprozessordnung geschätzt. Als Schätzgrundlage wurde ein außergerichtlich eingeholtes Gutachten zugrunde gelegt. Dabei war zu beachten, dass ein Abzug "neu für alt" dann nicht bei der Beschädigung eines Maschendrahtzauns zu berücksichtigen sei, wenn nur Teile eines einheitlichen Zauns erneuert werden. Hält ein Zaun die landesnachbarrechtlichen Abstandsgrenzen nicht ein, liegt ein Mitverschulden des Zauneigentümers nicht mehr vor, sobald die nachbarschaftlichen Einwände gegen die Abstandsgrenzen gemäß landesnachbarrechtlichen Vorschriften nicht mehr geltend gemacht werden können.
Hinweis: Unerheblich war für das Gericht übrigens, ob der Vater oder der Sohn die Beschädigung verursacht hatte. Wäre eines der Fahrzeuge durch den Sohn geführt worden, haftet der Vater trotzdem auch für von diesem verursachte Schäden. Denn derjenige, der einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere einem Dritten widerrechtlich zufügt.
Quelle: AG Trier, Urt. v. 07.06.2024 - 7 C 177/22
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Mietern steht es zu, zur Nachvollziehbarkeit von Betriebsnebenkosten Einsicht in die diesbezüglichen Belege zu verlangen. Das Amtsgericht Frankfurt am Main (AG) war mit der Beantwortung der Frage betraut, ob hierfür die Einsicht in digitale Belege ausreichend sein könne oder nach wie vor Originalbelege in Papierform bereitstehen müssen.
Eine Vermieterin erstellte eine Betriebskostenabrechnung. Insgesamt waren knapp 400 EUR von den Mietern nachzuzahlen. Die Mieter verlangten daraufhin die Einsichtnahme in die Belege der Betriebskosten. Deshalb kam es in den Büroräumen der Vermieterin zu der gewünschten Einsicht. Da diese jedoch ihr Büro komplett papierlos organisiert hatte, wurden keine Originalbelege vorgezeigt, sondern lediglich Scans der Belege am Bildschirm. Die Mieter meinten nun, die Nachzahlung nicht leisten zu müssen, weil nach § 259 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Vorlage von Originalbelegen erforderlich sei. Schließlich klagte die Vermieterin das Geld ein.
Das AG war auf ihrer Seite und meinte, dass zwar grundsätzlich ein Anspruch des Mieters auf die Einsicht in die Originalbelege bestehe - allerdings kann sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausnahmsweise der Anspruch des Mieters auf die Zurverfügungstellung von Kopien oder Scanprodukten beschränken. Ein solcher Ausnahmefall lag hier vor. Die Vermieterin konnte nämlich glaubhaft darlegen, dass sie auf eine weitgehend papierlose Büroverwaltung umgestellt hatte und ihr entsprechende Belege durch einen entsprechenden Dienstleister nur in digitaler Form zur Verfügung stünden. Die zur Verfügung gestellten Kopien oder einsehbaren Scanprodukte seien zudem geeignet, die dokumentierten Erklärungen unverändert wiederzugeben. Somit hatte die Vermieterin durch die Einsichtnahme in Scanprodukte ihre Verpflichtung erfüllt.
Hinweis: Die Rechtsprechung macht eben auch keinen Halt vor Neuerungen der Technik. Und das papierlose Büro greift immer weiter um sich.
Quelle: AG Frankfurt am Main, Urt. v. 02.02.2024 - 33 C 3020/23
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 09/2024)
Zum Thema Verkehrsrecht
- Dreifacher Regelbußgeldsatz: Verschlechterungsverbot schreibt Berücksichtigung auch wirtschaftlicher Umstände vor
- Erntezeit = Traktorzeit: Missachtung der doppelten Rückschaupflicht bedingt Mithaftung nach unzulässigem Überholen
- Schutzwürdiges Interesse: Kfz-Haftpflichtversicherung muss Detektivbericht offenlegen
- Stürmische Zeiten: Ein Sturmschaden muss der Kfz-Versicherung klar nachgewiesen werden
- Wartepflicht des Linksabbiegers: Gebotene Vorsicht bei drohender Überschneidung zweier Fahrwege im Einmündungsbereich
Sicherlich stimmt die Mehrheit der Autofahrer zu, dass die Verhängung des Regelfahrverbots stets die schlimmste aller Strafen nach einem Geschwindigkeitsverstoß ist. Dennoch darf dieses Bauchgefühl nicht dazu führen, stattdessen die Geldbuße zu verdreifachen, ohne dafür alle Gesamtumstände zu berücksichtigen. Sonst sorgen Gerichte wie das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) dafür, dass sich die Vorinstanzen nochmals der Sache annehmen müssen.
Das Amtsgericht (AG) hatte gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h eine Geldbuße von 600 EUR festgesetzt. Es hatte dabei von der Verhängung des Regelfahrverbots abgesehen und stattdessen die Geldbuße verdreifacht. Hiergegen richtete sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen, da sie unter anderem davon ausgeht, dass es an einer Benachteiligung des Betroffenen fehle. Die vom AG vorgenommene Festsetzung der Geldbuße sei im Vergleich zum Fahrverbot das mildere Ahndungsmittel.
Das OLG sah dies aber anders. Zwar führe die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend aus, dass unter dem Aspekt des Verschlechterungsverbots eine (erhöhte) Geldbuße gegenüber einem Fahrverbot die mildere Sanktion sei. Zu klären sei jedoch stets, ob der Betroffene überhaupt beschwert sei - nur dann kann er ein Rechtsmittel gegen das Urteil des AG einlegen, wenn von der härteren Sanktion gegen Erhöhung der milderen Sanktion abgesehen wird. Hier lag die Beschwer des Betroffenen nach Auffassung des Senats bereits darin, dass die Geldbuße signifikant erhöht worden war, nämlich verdreifacht. Hierin liegt eine wirtschaftliche Beschwer innerhalb der verhängten Sanktion, die den Betroffenen zu Unrecht benachteiligen kann. Die Bußgeldkatalogverordnung regelt nämlich, dass bei einem Absehen vom Fahrverbot die Geldbuße angemessen erhöht werden solle. Mangels Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen konnte der Senat daher nicht überprüfen, ob die Erhöhung der Geldbuße um das Dreifache angemessen gewesen sei. Die Feststellung des AG "Die Verdreifachung der Regelgeldbuße erfolgte unter Berücksichtigung der Gesamtumstände" stelle eine inhaltslose Floskel dar, weil das Urteil sich nicht zu diesen "Gesamtumständen" verhält. Der Senat hatte den Fall daher zurück an das AG zur erneuten Verhandlung verwiesen.
Hinweis: Verhängt das Bußgeldgericht ein erhöhtes Bußgeld und sieht dabei von der Verhängung eines Fahrverbots ab, verstößt dies zwar nach allgemeiner Rechtsauffassung nicht gegen das Verschlechterungsverbot. Ist dieser Rechtsfolgenausspruch aber rechtsfehlerhaft, liegt hierin eine Beschwer des Betroffenen, weil die Erhöhung der Geldbuße innerhalb dieser Sanktionsform eine wirtschaftliche Belastung darstellt, so dass das Urteil zu seinem Nachteil auf diesem Rechtsfehler beruhen kann.
Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 19.06.2024 - I ORbs 60/24
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Ein Linksabbieger muss sich vor dem Einordnen sowie vor dem Abbiegen vergewissern, dass das Abbiegen gefahrlos möglich ist. Das besagt die doppelte Rückschaupflicht, die besonders auch Traktorfahrer betrifft, die sich während der Erntezeit vermehrt auf öffentlichen Straßen bewegen. Wird diese Pflicht verletzt, kommt es nach schadensreichen Kollisionen zu Terminen wie kürzlich vor dem Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG).
Zwischen einem nach links auf einen Feldweg abbiegenden Traktor und einem überholenden Pkw kam es außerorts zu einer Kollision. Der Kläger hatte zuvor beabsichtigt, mit seinem Traktor, der bauartbedingt 40 km/h fahren kann, nach links in einen Feldweg einzubiegen. Zu diesem Zweck hatte er auch den Blinker links gesetzt. Von hinten nahte der Beklagte mit seinem Pkw. Auf der Strecke besteht ein Überholverbot mit Ausnahme von Kfz und Zügen, die nicht schneller als 25 km/h fahren können oder dürfen. Dennoch setzte der Autofahrer zum Überholvorgang an und kollidierte mit dem linksabbiegenden Traktor, der dabei erheblich beschädigt wurde. Das LG sah die Verantwortlichkeit für den Unfall allein beim überholenden Pkw-Fahrer. Genau hiergegen wendete sich eben dieser.
Auf die Berufung hin hat das OLG die Haftungsquote geändert. Der Traktorfahrer haftet demnach für die Unfallfolgen zu 25 %, der Pkw-Fahrer zu 75 %. Die Verpflichtung der Beteiligten zum Ersatz der Unfallschäden hänge insbesondere davon ab, inwieweit diese von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden seien. Im konkreten Fall stehe fest, dass der Traktorfahrer gegen die ihn treffende doppelte Rückschaupflicht verstoßen habe. Ein Linksabbieger müsse sich vor dem Einordnen und erneut unmittelbar vor dem Abbiegen vergewissern, dass das beabsichtigte Abbiegen gefahrlos möglich sei. Der Autofahrer habe demgegenüber das Überholverbot missachtet und zudem bei unklarer Verkehrslage überholt. Diese ergebe sich aus dem nach links am Traktor gesetzten Blinker. Die mehrfachen und nicht unerheblichen Verstöße gegen Regeln des Straßenverkehrsrechts rechtfertigen somit auch die überwiegende Haftung des Pkw-Fahrers. Die Mitverantwortlichkeit des Traktorfahrers trete demgegenüber jedoch nicht gänzlich zurück. Zwar komme unter Umständen auch eine Alleinhaftung des Überholenden in Betracht - dies indes nur dann, wenn sich das Überholen als grob verkehrswidrig und rücksichtslos darstellt.
Hinweis: Wer links abbiegen will, hat vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Ein Fahrzeug, das überholen will und das bei der Rückschau gesehen wird, ist hierbei vor dem Abbiegen durchzulassen. Die doppelte Rückschaupflicht entfällt nur, wenn die Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn ein Linksüberholen technisch unmöglich ist oder dies besonders grob verkehrswidrig wäre und deshalb auch bei größter Sorgfalt nicht voraussehbar ist, oder bei Gewissheit, dass der nachfolgende Verkehr das Abbiegen nach links erkannt hat. Daher haftet grundsätzlich der Linksabbieger im Fall einer Kollision mit einem überholenden Fahrzeug zu 100 %.
Quelle: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 24.04.2024 - 1 U 116/23
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Lässt eine Versicherung den Anspruchssteller durch ein Detektivbüro observieren, kann dem Betroffenen ein Auskunftsrecht über die gesammelten personenbezogenen Daten zustehen. Dies hat das Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) jüngst festgestellt, nachdem das zuvor damit befasste Landgericht (LG) noch anderer Auffassung war.
In dem hier entschiedenen Fall war dem Detektiveinsatz ein Verkehrsunfall vorausgegangen, bei dem der Kläger verletzt worden war. Wegen seiner Verletzungen machte dieser Ansprüche bei der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers geltend. Die Versicherung hatte jedoch den Verdacht, dass die unfallbedingten Einschränkungen des Klägers tatsächlich geringer waren als angegeben. Sie ging folglich davon aus, dass der Kläger unberechtigte Ansprüche geltend mache. Die daraufhin von der Versicherung beauftragte Detektei observierte den Kläger über mehrere Wochen und fasste ihre Erkenntnisse über die gesundheitlichen Alltagseinschränkungen des Klägers für die Versicherung in einem Ermittlungsbericht zusammen. Der Kläger erhob gegen den Haftpflichtversicherer nun Klage, die unter anderem auf Auskunft zu den von der Detektei gesammelten und folglich von der Versicherung verarbeiteten personenbezogenen Daten sowie auf Herausgabe einer Kopie der Informationen gerichtet war. Die Versicherung hatte die Auskunft lediglich teilweise erteilt und sich im Übrigen auf ein datenschutzrechtliches Geheimhaltungsinteresse berufen.
Das mit der Klage befasste LG erkannte der Versicherung ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse zu und wies die Klage ab. Die vom Kläger eingelegte Berufung hatte jedoch Erfolg: Das OLG hat die Versicherung zur Auskunft über die personenbezogenen Daten des Klägers und zur Herausgabe einer Kopie des Observationsberichts der Detektei verurteilt. Der Senat hat festgestellt, dass dem Kläger ein Auskunftsanspruch zusteht, da vom Kläger personenbezogene Daten gesammelt und verarbeitet worden seien. Betroffenen stünde in solchen Fällen ein generell schutzwürdiges Interesse an der Auskunft zu. Bei den personenbezogenen Daten des Klägers handele es sich nicht um Geschäftsgeheimnisse. Auch sonst bestehe kein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse, da die Versicherung die Erkenntnisse aus den Ermittlungsberichten bei späteren Rechtsstreitigkeiten ohnehin offenlegen und dem Kläger eine Reaktion hierauf ermöglichen müsse. Auch dass der Kläger die Informationen später in einem Rechtsstreit gegen die Versicherung verwenden würde, sei nicht zwingend. Es sei nach dem Senat ebenso denkbar, dass sich der Kläger nach Offenlegung des Ermittlungsergebnisses - je nach Inhalt der Berichte - sogar dazu entscheide, von einer Inanspruchnahme der Versicherung abzusehen.
Hinweis: Ein Auskunftsanspruch ergibt sich aus Art. 15 Datenschutz-Grundverordnung. Das Auskunftsrecht verfolgt den Zweck, sich der Verarbeitung der personenbezogenen Daten bewusst zu werden und deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Grundsätzlich könne der Auskunftsanspruch zwar durch Rechte anderer Personen eingeschränkt sein - ein solches Gegenrecht konnte die Versicherung in diesem Fall aber nicht darlegen.
Quelle: OLG Oldenburg, Urt. v. 09.04.2024 - 13 U 48/23
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Wer sich gegen die unmittelbare Einwirkung von Sturm, Hagel, Blitzschlag oder Überschwemmung auf sein Fahrzeug absichert, sollte im Schadensfall keine "Pi-mal-Daumen"-Angaben machen, sondern konkrete Belege vorlegen. Denn sonst landet man mit seinen Ansprüchen schnell vor Gerichten wie dem Oberlandesgericht Nürnberg (OLG), denen nichts anderes übrig bleibt, als den ablehnenden Versicherern Recht zu geben.
Der Kläger hatte bei der beklagten Versicherung eine Teilkaskoversicherung für seinen Kleintransporter abgeschlossen. Gegenüber der Versicherung machte er wegen eines Sturmschadens nun Schadensersatzansprüche geltend. Er behauptete, sein Fahrzeug sei wegen eines Sturms in der Zeit zwischen dem 17. und 21.02.2022 durch umherfliegende Gegenstände beschädigt worden. Das Fahrzeug war zu diesem Zeitpunkt auf einer öffentlichen Straße abgestellt. Die Versicherung lehnte die Regulierung jedoch ab.
Nachdem die hiergegen gerichtete Klage beim Landgericht erfolglos blieb, schloss sich auch das OLG dieser Aufassung an. Der Kläger konnte nämlich schlichtweg nicht beweisen, dass sein Fahrzeug während des Sturms beschädigt wurde. Nach allgemeinen Grundsätzen obliege dem Kläger der Nachweis des Eintritts eines Versicherungsfalls. Nach den Versicherungsbedingungen war unter anderem die unmittelbare Einwirkung von Sturm, Hagel, Blitzschlag oder Überschwemmung auf das Fahrzeug versichert. Eingeschlossen sind Schäden, die durch mindestens Windstärke 8 verursacht werden, wenn durch diese Naturgewalten Gegenstände auf oder gegen das Fahrzeug geworfen werden. Der Versicherungsnehmer muss dann sowohl das Vorliegen einer versicherten Naturgewalt als auch deren unmittelbare Einwirkung auf das Fahrzeug beweisen. Nach der Beweisaufnahme waren bereits der Schadenszeitpunkt und der konkrete Stellplatz des Fahrzeugs nicht zuverlässig feststellbar. Eine Beschädigung des Fahrzeugs durch Sturm war lediglich möglich - andere Ursachen konnten jedoch nicht ausgeschlossen werden.
Hinweis: Der Versicherungsnehmer hatte sich auf Beweiserleichterungen berufen, die insbesondere beim Kfz-Diebstahl gelten. Das Gericht weist allerdings zutreffend darauf hin, dass anders als beim Diebstahl, der in der Regel nicht beobachtet wird, Naturgewalten sowohl von Zeugen als auch durch festgestellte Beschädigungen nachgewiesen werden können.
Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 25.06.2024 - 8 U 775/24
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Beim Verkehrsrechtsfall, den das Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) bewerten musste, handelte es sich um einen Klassiker - den Abbiegeunfall. Weil sich der Halter eines Fahrzeugs, dessen Fahrerin nach links abbiegen wollte, mit der hälftigen Haftungsverteilung nicht abfinden wollte, kam das Urteil des Landgerichts (LG) folglich auf den Prüfstand.
Zwischen einem Pkw, dessen Fahrerin nach links abbog, und einem aus der Gegenrichtung in die gleiche Richtung (entsprechend nach rechts) abbiegenden Fahrzeug kam es innerorts zu einem Unfall. Das nach links abbiegende Fahrzeug wurde hierbei auf der gesamten Beifahrerseite beschädigt. Der Halter dieses Fahrzeugs verlangte von der gegnerischen Haftpflichtversicherung Ersatz seines Schadens zu 100 %. Das zunächst mit der Sache befasste LG nahm hingegen eine Schadensverteilung von 50:50 vor. Genau dagegen richtet sich die Berufung des Halters des linksabbiegenden Fahrzeugs.
Das OLG hat in seinem Beschluss darauf hingewiesen, dass die vorgenommene Haftungsverteilung von 50:50 nicht zu beanstanden ist. Derjenige, der nach links abbiegen will, hat entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits nach rechts abbiegen wollen, durchfahren zu lassen. Den Linksabbieger trifft mithin grundsätzlich eine Wartepflicht gegenüber dem entgegenkommenden Verkehr. Die Wartepflicht des Linksabbiegers entfällt auch nicht, sobald sich der Linksabbieger in den Bereich der Vorfahrtstraße, in die er einbiegen will, begeben hat. Denn allein dadurch wird er noch nicht zum Benutzer der Vorfahrtstraße und damit gegenüber dem Gegenverkehr bevorrechtigt. Zu einem solchen wird er erst, wenn der Linksabbiegevorgang vollständig abgeschlossen ist - und dies kann nur angenommen werden, soweit keine Schrägstellung mehr vorliegt. Den Rechtsabbieger trifft wiederum der Vorwurf, gegen das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme verstoßen zu haben. Nach Auffassung des Senats steht dem Linksabbieger demnach kein über 50 % hinausgehender Schadensersatzanspruch zu.
Hinweis: Sobald der Linksabbieger erkennen kann, dass ein sich aus der Gegenrichtung näherndes Fahrzeug nach rechts abbiegen will und es daher zu einer Überschneidung der Fahrzeugwege im Einmündungsbereich oder auf der nachfolgenden Straße kommen wird, setzt die Wartepflicht des Linksabbiegers ein.
Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 03.06.2024 - 3 U 746/24
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Zum Thema Sonstiges
- Smartphone für 92 EUR! Übersendung von Gratisbeigabe bestätigt Annahme des Antrags auf Abschluss eines Kaufvertrags
- Stolperfalle im Restaurant: Problemlos erkennbare Stufe führt nicht zu Schadensersatzansprüchen
- Sturz im Baustellenbereich: Auf erkennbar provisorischen Wegen muss mit leichten Unebenheiten gerechnet werden
- Vertragserklärung unter Druck: Unlautere Methoden bei Vertragsanbahnung per Telefon
- Zu spätes "Last Minute": Schließt Check-in kurz nach Flugbuchung, muss Fluggesellschaft Ticketpreis erstatten
Preisfehler im Internet können ausgesprochen kostspielig sein. Wer den Abschluss eines - auf fehlerhaften Angaben beruhenden - Kaufvertrags dann auch noch bestätigt, hat kaum noch Chancen, als Anbieter schadlos davonzukommen. Das Landgericht Frankfurt am Main (LG) stellte in einem derart gelagerten Fall fest, dass auch durch den Versand einer zugesicherten Gratisbeigabe ein solcher Abschluss als angenommen gelten kann.
Durch einen Fehler bot ein Unternehmen online Smartphones für 92 EUR an, deren unverbindliche Preisempfehlung bei je 1.099 EUR lag. Als wäre ein solcher Fehler nicht schon ärgerlich genug gewesen, wurden bei Bestellungen zudem bestimmte Kopfhörer als Gratisbeigabe zugesichert. Ein Kunde bestellte im Rahmen von drei Bestellungen schließlich neun Smartphones sowie vier Gratiskopfhörer. Dabei zahlte er die Kaufpreise sofort. Noch im Laufe des Bestelltags änderte die Beklagte den Angebotspreis auf 928 EUR. Zwei Tage nach den Bestellungen versandte sie die vier Kopfhörer an den Kunden und teilte dies jeweils per Mail mit. Knapp zwei Wochen später stornierte sie die Bestellung unter Verweis auf einen gravierenden Preisfehler. Der Kunde klagte nunmehr die Lieferung und Übereignung der ausstehenden Smartphones ein - und erhielt vor Gericht Recht.
In der Übersendung einer Gratisbeigabe der Kopfhörer war laut LG auch die Annahme des Antrags auf Abschluss eines Kaufvertrags über das noch nicht versandte Hauptprodukt zu sehen. Trotz des Preisfehlers konnte der Käufer die Lieferung neuer Smartphones zu je 92 EUR statt 1.099 EUR laut unverbindlicher Preisempfehlung verlangen - und das gleich neunmal.
Hinweis: Wenn der Kaufvertrag erst einmal geschlossen ist, wird es schwer, davon wieder loszukommen.
Quelle: LG Frankfurt am Main, Urt. v. 18.04.2024 - 9 U 11/23
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Vor dem Gericht ist nach dem Gericht - zumindest, wenn ein Gast im Restaurant stolpert und sich dabei verletzt. Eine Restaurantbesucherin folgte einem dringenden Bedürfnis und übersah dabei eine Stufe. Derjenige, der zuerst für das ordentliche Gericht auf dem Tisch sorgte, landete nach dem Vorfall in seinem Restaurant vor dem Tisch des Landgerichts Frankenthal (LG).
Die Besucherin eines Restaurants hatte auf dem Weg zur Toilette eine abwärtsführende Stufe übersehen, stürzte gegen eine Mauerkante und verletzte sich dabei am Brustkorb und an einem Bein. Daher warf sie dem Restaurantbetreiber vor, auf die Stufe nicht ausreichend aufmerksam gemacht zu haben. Aufgrund der ähnlichen Farbgebung von Boden und Stufe und unzureichender Beleuchtung sei die Stufe nicht rechtzeitig erkennbar gewesen. Die auf der Stufe selbst angebrachten roten Klebestreifen hatte die Frau also offensichtlich übersehen. Und so klagte sie einen Betrag von 7.500 EUR ein.
Das Geld erhielt sie vor dem LG allerdings nicht. Ein Gastwirt habe zwar die Pflicht, seinen Gästen einen gefahrlosen Aufenthalt in seinem Restaurant zu ermöglichen. Ein Gast darf jedoch nicht erwarten, auch vor Gefahren geschützt zu werden, die für den aufmerksamen Benutzer ohne weiteres erkennbar seien, und auf die ein solcher sich somit auch einstellen könne.
Hinweis: Der Restaurantbetreiber kann seine Gäste eben nicht vor jeder Gefahr schützen. Die Grenzen sind dabei sicherlich fließend - und jeder Fall ist stets anders zu entscheiden.
Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 07.05.2024 - 7 O 264/23
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Allein der Umstand, dass eine Baustelle als solche erkennbar ist, lässt Verkehrsteilnehmer nicht immer Vorsicht walten. So sind zwar besonders unter Fußgängern die Unfallraten in Baustellenbereichen hoch, Schadensersatz gibt es dennoch selten. Denn zum einen sind Straßen und Wege an sich schon nicht gefahrlos; erkennbare Baustellen sind es erst recht nicht. Genau so sah das auch das Landgericht Lübeck (LG).
Eine Frau war auf einem provisorischen Fußweg einer Strandpromenade innerhalb einer Baustelle gestürzt. Sie behauptete nun, der provisorische Fußweg sei nicht eben gewesen; die rechte Hälfte sei nicht erkennbar 15 cm tiefer gelegen. Dadurch habe sie sich vertreten und sei gestürzt, obwohl sie vorsichtig gegangen sei. Sie sei erst umgeknickt, dann in die Tiefe gerutscht und habe sich dann an der Absperrung festgehalten, wobei sie sich an der Wirbelsäule verletzt habe. Durch den Sturz habe sie eine Wirbelkörperfraktur in einem Brustwirbel erlitten. Nun verlangte sie unter anderem Schmerzensgeld. Das bekam sie jedoch nicht.
Das LG verneinte die Ansprüche der Geschädigten. Wer im Bereich einer Baustelle unterwegs sei, müsse auf dem Weg vermehrt mit Unebenheiten rechnen. Eine Ersatzpflicht bestehe nur, wenn eine sogenannte Verkehrssicherungspflicht verletzt wurde. Wer eine Gefahrenquelle schafft, muss zumutbare Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer zu vermeiden. Bei Straßen können Verkehrsteilnehmer keine völlige Gefahrlosigkeit erwarten - dies gelte erst recht bei einem erkennbar provisorischen Weg. Hier war der Baustellenbereich gut sichtbar gewesen. Die Frau konnte nicht darauf vertrauen, dort ungestört entlanggehen zu können, sondern hätte mit leichten Unebenheiten rechnen müssen. Mehr als geringfügig seien die Unebenheiten in Augen des LG nicht gewesen.
Hinweis: Trotzdem sollten Betroffene nach einem Unfall auch als Fußgänger möglichst schnell die Beweise sichern, also Fotos von der Baustelle fertigen oder fertigen lassen.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 27.02.2024 - 15 O 149/22
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Wer weiß, wie empfindlich Gerichte reagieren, wenn Anbieter Verbrauchern eine Pistole auf die Brust setzen, wird über den Ausgang des folgenden Falls nicht überrascht sein. Hier war das Landgericht München I (LG) gefragt, wie es den Umstand einschätzt, dass Verbraucher noch während des Beratungstelefonats eine parallel eingegangene E-Mail bestätigen sollen.
Der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände verklagte ein Telekommunikationsdienstleistungsunternehmen. Noch während eines Telefonats, in dem das Unternehmen Verbrauchern Telekommunikationsdienstleistungen anbot, bekamen die möglichen Interessenten eine E-Mail zugesendet. Dann wurden sie im Telefonat dazu aufgefordert, den in dieser E-Mail enthaltenen Link "ich bestätige" noch während des Gesprächs anzuklicken.
Der Verbraucherverband forderte laut LG zu Recht die Unterlassung dieser Geschäftspraktik. Die im Telefongespräch ausgesprochene Aufforderung, einen Link zur Vertragsbestätigung in einer während des Gesprächs zugesendeten E-Mail anzuklicken, stellt einen Verstoß gegen § 3a Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb dar. Denn ein Verbraucher darf nicht dazu aufgefordert werden, seine Vertragserklärung abzugeben, bevor das Telefonat beendet ist. So hätte er nämlich keine Möglichkeit mehr, sich in ausreichender Zeit Kenntnis von den Vertragsbedingungen zu verschaffen. Deshalb muss das Unternehmen diese Geschäftspraktik künftig unterlassen.
Hinweis: Am Telefon sollten möglichst keinerlei Verträge abgeschlossen werden. Das Risiko ist zu groß, überrumpelt zu werden. Ist das der Fall, hilft Ihnen der Rechtsanwalt des Vertrauens.
Quelle: LG München I, Urt. v. 22.04.2024 - 4 HK O 11626/23
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(aus: Ausgabe 09/2024)
Dem Kompendium der Fluggastrechte kann hiermit ein durchaus interessanter Fall hinzugefügt werden. Das Amtsgericht Düsseldorf (AG) hatte dabei zu entscheiden, welche Rechte einem (im wahrsten Wortsinne) Last-Minute-Bucher zustehen, wenn diesem nach erfolgreicher Buchung ein ordnungsgemäßer Check-in zeitlich gar nicht mehr eingeräumt werden konnte.
Ein Mann kaufte während seines Flughafenaufenthalts um 12:06 Uhr über sein Smartphone ein Onlineticket für einen Flug am selben Tag um 13:10 Uhr nach Stockholm für 500 EUR. Die Buchungsbestätigung erhielt er per E-Mail um 12:09 Uhr. Ein Online-Check-in über die App gelang dem Mann aber nicht mehr, weil der Check-in planmäßig um 12:10 Uhr schloss. Der Mann konnte den gebuchten Flug daher nicht antreten und klagte nun die Rückzahlung der 500 EUR ein.
Vom AG erhielt er das Geld zugesprochen, allerdings ist noch eine Berufung gegen das Urteil möglich. Die Fluggesellschaft trifft die Nebenpflicht, den Fluggast vor Vertragsabschluss darüber aufzuklären, wie viel Zeit noch bis zum Check-in bestünde. Eine Information innerhalb von Allgemeinen Geschäftsbedingungen genüge hierbei nicht, da bei einer kurzfristigen eiligen Buchung nicht erwartet werden kann, dass sich der Fluggast die Informationen dort heraussucht. Da dieser notwendige Hinweis nicht erfolgt war, muss der Reisepreis erstattet werden.
Hinweis: Der Fluggast kann von einem Luftfahrtunternehmen erwarten, dass ein Verkauf von Flugscheinen nur so lange erfolgt, wie es dem Fluggast möglich ist, das Einchecken bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge noch durchführen zu können.
Quelle: AG Düsseldorf, Urt. v. 17.06.2024 - 37 C 294/24
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(aus: Ausgabe 09/2024)