Aktuelles
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Zum Thema Arbeitsrecht
- "Er oder wir!": Kündigung darf erst letztes Mittel sein, wenn andere Konfliktlösungsmöglichkeiten nicht greifen
- Außergewöhnlicher Umstand: Keine Kündigung nach unverschuldetem Verlust des Aufenthaltstitels und Visumproblemen
- Beschwerde oder Rechtsanspruch? Betriebsrat darf bei Abmahnung keine Einigungsstelle einschalten
- Personalverantwortung vonnöten: Ein "Direktor" im Titel macht noch lange keine Führungskraft
- Rechtsextreme Chats: Anwärter nicht reif und gefestigt genug für Polizeidienst
Wenn auch nur einer unter vielen stört, kann dieser den gesamten Betriebsablauf durcheinanderbringen. Ob es ausreicht, dass sich ein Großteil der Belegschaft einig ist, dass ein Kollege gehen müsse, um den betrieblichen Frieden wiederherzustellen, musste kürzlich das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) entscheiden. Man ahnt: Eine sogenannte Druckkündigung ist nicht so einfach.
Ein Mann arbeitete seit über zehn Jahren in einem Unternehmen und hatte immer wieder Streit mit den Kollegen. Irgendwann wurde die Stimmung so angespannt, dass einige Kollegen drohten, zu kündigen, falls der Mann nicht gehen müsse. Der Arbeitgeber sprach mit dem Mann über eine einvernehmliche Trennung, der der Mann jedoch nicht zustimmte. Daher übernahm dies der Arbeitgeber, der dem Mann fristlos mit sogenannter Auslauffrist kündigte - also mit einer Frist ähnlich wie bei einer normalen Kündigung. Der Mann wehrte sich dagegen vor Gericht.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch später das LAG gaben dem Arbeitnehmer recht. Das Gericht erklärte: Eine derartige Druckkündigung sei nur erlaubt, wenn der Arbeitgeber vorher alles getan habe, um die Situation zu beruhigen. Dazu gehöre, mit allen Beteiligten zu sprechen und zu versuchen, den Streit im Betrieb zu lösen. In diesem Fall war davon nichts erkennbar. Der Arbeitgeber hatte keine Mediation angeboten, keine Gespräche geführt und keine Maßnahmen zur Deeskalation ergriffen. Damit fehlte ein wichtiger Grund für eine rechtmäßige Kündigung. Auch den Wunsch des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis wenigstens vom Gericht auflösen zu lassen, lehnte das LAG ab. Bei einer fristlosen Kündigung mit Auslauffrist sei das nicht möglich - selbst dann nicht, wenn eine normale Kündigung tariflich ausgeschlossen sei.
Hinweis: Wer als Arbeitgeber Konflikte im Betrieb ignoriert, darf sich später nicht auf den Druck der Belegschaft berufen. Eine Kündigung ist nur dann möglich, wenn vorher ernsthaft versucht wurde, den Streit zu lösen. Auch innerbetriebliche Mediation kann notwendig sein.
Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 13.05.2025 - 10 SLa 687/24
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Auf den ersten Blick hat der Arbeitnehmer in diesem Fall das Zuspätkommen auf neue Höhen getrieben. Doch dass die dreieinhalb Monate "Urlaubsverlängerung" alles andere als freiwillig waren, lag angesichts der dem Arbeitsgericht Herne (ArbG) dargelegten Fakten mehr als nahe. Genau daher trafen sich der Arbeitgeber und sein gekündigter Arbeitnehmer dort auch wieder.
Der Mitarbeiter eines großen Paketdienstes machte Urlaub in Somalia. Die Reise war mit dem Arbeitgeber abgesprochen. Eigentlich hätte er am 26.10.2024 wieder zur Arbeit erscheinen sollen. Doch auf dem Flughafen wurde ihm sein Aufenthaltstitel gestohlen. Ohne dieses Dokument durfte er nicht ausreisen. Er meldete den Vorfall der Polizei und wandte sich an die deutsche Botschaft. Ein neues Visum bekam er aber erst viele Wochen später. Erst am 04.02.2025 konnte der Mann wieder zurück nach Deutschland fliegen. Am nächsten Tag bot er sofort seine Arbeitskraft wieder an. Der Arbeitgeber hatte da bereits anders entschieden. Er hatte den Mitarbeiter abgemahnt und ihm am 20.01.2025 ordentlich zum 31.03.2025 gekündigt. Der Mann klagte dagegen - mit Erfolg.
Das ArbG erklärte die Kündigung für nicht gerechtfertigt. Zwar habe der Mann seine Arbeit nicht aufgenommen, aber der Grund dafür lag nicht in seinem Einflussbereich. Der Verlust des Aufenthaltstitels war ein außergewöhnlicher Umstand. Außerdem habe der Beschäftigte sich ehrlich bemüht, Kontakt zu halten und seine Rückreise zu regeln. Der Arbeitgeber konnte nicht nachweisen, dass durch das Fehlen des Manns ernsthafte Probleme im Betrieb entstanden waren. Auch organisatorische Schwierigkeiten seien nicht erkennbar gewesen. Dazu kam: Der Mann arbeitete bereits seit fünf Jahren ohne Beanstandungen im Unternehmen - auch das sprach gegen eine Kündigung.
Hinweis: Wer ohne eigenes Verschulden zu spät aus dem Urlaub zurückkehrt, darf nicht einfach entlassen werden. Wichtig ist, dass man alles tut, um den Arbeitgeber zu informieren. Auch die bisherige Zusammenarbeit spielt bei der Bewertung eine Rolle.
Quelle: ArbG Herne, Urt. v. 08.05.2025 - 4 Ca 208/25
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Betriebsräte sollten wissen, in welchen Fällen sie helfen können und wann sie auf die Gerichte zurückgreifen müssen. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) zeigt auf, dass eine Einigungsstelle nicht bei allen Differenzen das richtige Mittel der Wahl ist. Das Zünglein an der Waage ist die Antwort auf die Frage: Handelt es sich hierbei um eine Beschwerde oder einen Rechtsanspruch?
Eine schwangere Mitarbeiterin war im August 2024 mit einer Abmahnung konfrontiert worden. Der Arbeitgeber warf ihr vor, nicht zu einem Meeting erschienen zu sein und dies zu spät mitgeteilt zu haben. Außerdem habe sie ihre Abwesenheit an einem weiteren Tag nicht angekündigt. Die Beschäftigte wandte sich an den Betriebsrat und bat um Hilfe. Sie wollte, dass die Abmahnung aus ihrer Personalakte verschwindet. Sie sei nicht richtig angehört worden und sah sich wegen ihrer Schwangerschaft ungerecht behandelt. Der Betriebsrat stimmte ihr zu und forderte den Arbeitgeber zum Handeln auf, doch dieser weigerte sich. Als der Betriebsrat eine Einigungsstelle einsetzen lassen wollte, stieß er damit beim Arbeitgeber ebenso wenig auf Resonanz. Und dann landete der Fall endlich dort, wohin er gehörte: vor die Gerichte.
Das LAG entschied schließlich, dass die Einigungsstelle in so einem Fall nichts zu sagen hat. Denn es ging nicht um eine gemeinsame Regelung für die Zukunft, sondern um einen ganz konkreten Streitfall aus der Vergangenheit. Die Abmahnung betraf ein Verhalten der Vergangenheit, und derartige Fälle dürfen nur die Arbeitsgerichte entscheiden. Es handelte sich um einen rechtlichen Anspruch - und für den ist die Einigungsstelle nicht zuständig.
Hinweis: Wenn es um eine Beschwerde geht, die ein rechtliches Ziel verfolgt - wie zum Beispiel die Entfernung einer Abmahnung -, darf der Betriebsrat keine Einigungsstelle einschalten. Das muss vor Gericht geklärt werden. Wichtig ist, den Unterschied zwischen Beschwerde und Rechtsanspruch zu kennen.
Quelle: LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.02.2025 - 10 TaBV 29/25
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(aus: Ausgabe 09/2025)
Einer der Kernpunkte von Führung ist Verantwortung, vor allem auch fürs Personal. Das Arbeitsgericht Herne (ArbG) musste entschieden, wann jemand wirklich als leitender Angestellter gilt oder eben nicht. Die Antwort ist nicht allein wichtig für Ego oder Bezahlung, sondern vor allem in Sachen Mitspracherecht des Betriebsrats. Denn der ist bei nachgewiesenen Führungskräften heraus.
Ein Unternehmen suchte neue Führungskräfte, konnte die Stellen "Leitung Marketing" und "künstlerischer Manager" aber nicht mit externen Bewerbern besetzen. Deshalb versetzte der Arbeitgeber einen Mitarbeiter intern. Dieser bekam einen neuen Titel: Direktor für Marketing, Akquise, Projektmanagement und Pressesprecher. Dass der Arbeitgeber sich für diese Versetzung keine Zustimmung des Betriebsrats einholte, begründete er damit, dass er hierfür schlichtweg keine gebraucht habe - der Mitarbeiter zähle nun schließlich als leitender Angestellter. Er habe jetzt mehr Aufgaben und Verantwortung, was zu seinen Stärken passe. Der Betriebsrat war anderer Meinung. Er sah in der Versetzung eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme und zog vor Gericht. Denn aus seiner Sicht fehlte dem Mitarbeiter die nötige Personalverantwortung. Er durfte weder einstellen noch entlassen.
Das ArbG gab dem Betriebsrat Recht. Der Mann war kein leitender Angestellter im Sinne des Gesetzes. Denn wer diesen Status haben will, muss wirklich über wichtige Personalfragen mitentscheiden dürfen. Auch eine Generalvollmacht oder eine Prokura hätte nötig sein können - beides lag ebenfalls nicht vor. Damit durfte der Arbeitgeber die Versetzung nicht allein entscheiden. Der Betriebsrat hätte vorher beteiligt werden müssen. Die Versetzung war unwirksam.
Hinweis: Leitender Angestellter ist nur, wer echte Personalverantwortung trägt. Ein schicker Titel oder ein breites Aufgabenfeld reichen nicht. Ohne Mitspracherecht bei Einstellungen oder Kündigungen bleibt die Mitbestimmung des Betriebsrats bestehen.
Quelle: ArbG Herne, Beschl. v. 09.04.2025 - 5 BV 15/24
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Ein Polizeibeamter auf Probe hatte in mehreren WhatsApp-Gruppen rechtsextreme und menschenverachtende Inhalte geteilt. Ob diese von ihm in Nachhinein als "geschmacklose Witze" bezeichneten Posts Grund genug gewesen seien, ihn aus dem Dienst zu entlassen, musste das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) entscheiden.
Ein 25-jähriger Polizeianwärter arbeitete auf Probe in Bottrop. Bei Ermittlungen gegen einen Kollegen wurde dessen Handy durchsucht. Dabei fiel auf, dass auch der junge Anwärter in mehreren Gruppen aktiv war, in denen extremistische und entwürdigende Beiträge kursierten. Er hatte selbst mehrere solcher Inhalte gepostet - darunter auch ein Video mit tierpornographischem Inhalt. Auf Beiträge anderer mit ähnlichem Inhalt reagierte er zwar nicht, distanzierte sich jedoch ebenso wenig. Es gab außerdem Hinweise, dass er im Besitz kinderpornographischen Materials gewesen sein könnte. Das Land Nordrhein-Westfalen beendete daraufhin das Beamtenverhältnis. Aus Sicht der Behörde fehlte ihm die charakterliche Eignung für den Polizeidienst. Der Mann wehrte sich vor Gericht.
Sowohl das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen als auch das OVG hielten die Entlassung für richtig. Das Gericht erklärte: Wer solche Inhalte verbreitet oder schweigend hinnimmt, stellt sich gegen die Grundwerte des Staates. Auch wenn er später behauptete, er habe die Inhalte nicht ernst gemeint, zähle das nicht. Wer Polizist sein will, müsse reif und gefestigt sein. Das sei hier nicht der Fall gewesen. Selbst gute Leistungen im Dienst könnten das nicht ausgleichen. Gerade im Polizeiberuf sei es entscheidend, dass Beamte für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen.
Hinweis: Wer im öffentlichen Dienst arbeitet, muss für demokratische Werte einstehen. Extremistische oder menschenverachtende Inhalte sind mit diesem Beruf nicht vereinbar - auch dann nicht, wenn sie "nur" im Chat geteilt oder hingenommen werden. In der Probezeit ist eine Entlassung in solchen Fällen schnell möglich.
Quelle: OVG NRW, Beschl. v. 21.05.2025 - 6 B 1231/24
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Zum Thema Familienrecht
- Erwachsenenadoption: Wegfall der Geschäftsfähigkeit schadet nicht
- Kindeswohl schlägt Umgangsrecht: Mord an der Mutter rechtfertigt befristeten Umgangsausschluss des Vaters
- Namensrecht und Kindeswohl: Leiblicher Vater hat das Nachsehen - Kind darf wie der Rest seiner Familie heißen
- Unterbringung: Nur in absoluten Ausnahmefällen darf von der Anhörung des Betroffenen abgesehen werden
- Verlängerung der Fortgeltungsanordnung: Bisheriges Verfahren zur Vaterschaftsanfechtung gilt noch bis zum 31.03.2026
Ein Fall, wie er wohl schon öfter vorgekommen ist. Ein Erwachsener soll adoptiert werden; ein entsprechender Antrag wird gestellt. Doch noch bevor die Adoption angenommen wurde, wird ein "Elternteil" geschäftsunfähig. Ob die Adoption dennoch stattfinden kann, darüber entschied kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH).
Ein lang verheiratetes kinderloses Ehepaar wollte einen Erwachsenen adoptieren. Ein entsprechender Antrag wurde bei Gericht gestellt. Nach Eingang des Adoptionsantrags hörte der Familienrichter den annehmenden Ehemann in dessen Wohnung an. Es konnte aber kein zielführendes Gespräch über die Adoption geführt werden. Also wurde der Adoptionsantrag wegen Geschäftsunfähigkeit des "Vaters" zurückgewiesen. Die Beteiligten legten Rechtsmittel gegen die Zurückweisung ein, dann verstarb der Ehemann.
Die Beteiligten waren vor dem BGH erfolgreich. Es ist davon auszugehen, dass der Ehemann bei Stellung des Adoptionsantrags uneingeschränkt geschäftsfähig gewesen sei. Es wurden jedenfalls gerichtlich keine gegenteiligen Feststellungen getroffen, also ist von Geschäftsfähigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung auszugehen. Der spätere Verlust der Geschäftsfähigkeit stehe der Adoption somit nicht entgegen. Die Erwachsenenadoption konnte also durchgeführt werden.
Hinweis: Soll eine Erwachsenenadoption durchgeführt werden, sollte ein Nachweis der Geschäftsfähigkeit der "Eltern" bei Antragstellung geführt werden. So spart man sich im Fall späterer Geschäftsunfähigkeit Diskussionen über die Wirksamkeit der Adoption. Beachten Sie aber, dass der Fall nur für die Erwachsenenadoption gilt. Bei Minderjährigen ist der Wegfall der Geschäftsfähigkeit immer adoptionsschädlich. Minderjährige sind ja selbst noch nicht oder nur beschränkt geschäftsfähig und benötigen daher immer einen geschäftsfähigen Erwachsenen an ihrer Seite.
Quelle: BGH, Beschl. v. 04.06.2025 - XII ZB 320/23
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Jeder Elternteil hat grundsätzlich ein Recht auf Umgang mit seinen Kindern - selbst, wenn ein Elternteil straffällig geworden ist. Doch selbstverständlich gibt es auch hier Ausnahmen, die sich am Kindeswohl orientieren. Eine Ausnahme ist beispielsweise die Tötung der Mutter durch den Vater. Einer dieser tragischen Fälle landete kürzlich vor dem Oberlandesgericht Köln (OLG).
Ein verheiratetes Paar hatte drei Kinder. Die Frau trennte sich wegen häuslicher Gewalt von ihrem Mann. Leider erfolglos, denn bei einem Treffen zur Übergabe eines Kindes tötete er die Frau. Die drei Kinder zwischen vier und acht Jahren, die bei der Tötung ihrer Mutter nicht anwesend waren, wurden daraufhin in einer Pflegefamilie untergebracht, der Vater in Untersuchungshaft. Das Familiengericht Aachen hat den Umgang des Vaters mit den Kindern schließlich für ein Jahr ausgeschlossen. Der Vater legte hiergegen Beschwerde ein. Diese führte aber nicht zur Aufhebung des Kontaktverbots, sondern sogar zu einer Verschärfung.
Das OLG hat nach Anhörung der Kinder und ihrer Verfahrensbeiständin sowie nach Erörterung der Sache mit dem Vater das Kontaktverbot um weitere drei Jahre verlängert. Zwar kann sich der Vater auf ein Umgangsrecht mit den Kindern berufen (§ 1684 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz). Hier jedoch sah das OLG einen mehrjährigen Umgangsausschluss als erforderlich an, um bei den Kindern die Traumaverarbeitung zu sichern. Die Kinder selbst äußerten den Wunsch, Abstand vom Vater zu halten. Das Kindeswohl muss hier über das Umgangsrecht gestellt werden.
Hinweis: Über alles Recht der Eltern wird das Kindeswohl gestellt. Haben Kinder häusliche Gewalt erlebt, soll ihnen der Umgang mit dem gewalttätigen Elternteil nur zugemutet werden, wenn ihnen dadurch das Sicherheitsgefühl, das durch die erlebte Gewalt verlorengegangen ist, zurückgegeben werden kann. Ist dies nicht gewährleistet, dann ist ein Umgangsausschluss gerechtfertigt.
Quelle: OLG Köln, Beschl. v. 13.03.2025 - 10 UF 92/24
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Patchworkfamilien sind keine Seltenheit mehr. Nach außen sieht man nicht unbedingt, dass Kinder aus verschiedenen Ehen stammen - aber spätestens mit den Namen sind die Unterschiede erkennbar. Da ist es natürlich, wenn in Kindern der Wunsch nach einer Umbenennung wächst. Einen derartigen Wunsch machte das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) wahr, denn hier war das Kindeswohl ziemlich deutlich erkennbar.
Ein 2014 geborenes Mädchen trug nach der Heirat ihrer Eltern den Namen ihres Vaters. Seine Eltern ließen sich dann jedoch scheiden, die Mutter heiratete wieder und beantragte, dass das Mädchen den Namen des neuen Ehemanns tragen dürfe. Es bestünde seit Jahren kein Umgang zwischen Vater und Tochter, die beiden hätten eine sehr belastete Beziehung. Dennoch widersprach der Vater der Namensänderung. Das Gericht nahm sie trotzdem vor, woraufhin der Vater Beschwerde einlegte.
Er scheiterte damit vor dem OLG. Seit dem 01.05.2025 können die Gerichte Namensänderungen erleichtert durchführen, wenn sie dem Wohl des Kindes dienen. Und eben dieses überwog dem Interesse des Vaters am Beibehalten des Namens deutlich. Das fast elf Jahre alte Kind hatte ausdrücklich den Wunsch geäußert, so zu heißen wie der Stiefvater, zu dem es eine sehr gute Bindung pflegt. Eine emotionale Bindung zum leiblichen Vater gebe es hingegen nicht. Die Namensverschiedenheit hatte das Kind belastet. Also wurde die väterliche Einwilligung zur Namensänderung korrekterweise gerichtlich ersetzt.
Hinweis: Auch an dieser Entscheidung wird deutlich, dass über allem das Kindeswohl schwebt. Wenn diesem gedient ist, dann muss auch ein leiblicher Elternteil mit seinem Namenswunsch zurückstecken. Es ist nachvollziehbar, dass Kinder sich mit einer Familie identifizieren wollen - auch über den Namen.
Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.05.2025 - 5 WF 4/25
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Manchmal geht es nicht anders, und ein Mensch muss in einer psychischen Ausnahmesituation untergebracht werden. Die Unterbringung wird vom Gericht angeordnet und soll grundsätzlich nicht ohne Anhörung des Betroffenen vorgenommen werden. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen darf von der Anhörung abgesehen werden. Ob der erforderliche, korrekte Ablauf im folgenden Fall vorlag, konnte erst der Bundesgerichtshof (BGH) entscheiden.
Auf Antrag der Betreuerin genehmigte das Amtsgericht Regensburg (AG) die Unterbringung einer Frau in einem psychiatrischen Krankenhaus bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung. Diese Maßnahme wurde durch das AG im Wege der Rechtshilfe verlängert, das eigentlich zuständige Gericht hatte die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Die Betroffene legte dagegen Beschwerde ein. Daraufhin wurde die Unterbringung vom Landgericht Regensburg (LG) zwar nicht aufgehoben, aber verkürzt. Doch auch gegen die Verkürzung legte die Frau Beschwerde ein - und zwar erfolgreich.
Laut BGH lag ein wesentlicher Verfahrensmangel vor. Denn vor einer Unterbringungsmaßnahme ist der Betroffene persönlich anzuhören. Das Gericht muss sich einen persönlichen Eindruck verschaffen. Dies gilt grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Das Beschwerdegericht kann von einer erneuten Anhörung des Betroffenen absehen - dies setzt jedoch voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist. Das AG hatte die Betroffene zwar gehört, dies jedoch rechtsfehlerhaft; im Wege der Rechtshilfe darf nämlich keine Anhörung stattfinden. Das LG hätte die Betroffene daher selbst anhören müssen. Der BGH hat den Fall daher an das LG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.
Hinweis: Eine Unterbringung ohne persönliche Anhörung ist nur in engen Ausnahmefällen möglich, ebenso eine Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe. Betroffene sollten in ähnlichen Fällen immer eine Beschwerde einlegen, eine Unterbringung ist schließlich eine freiheitsentziehende Maßnahme. Da muss alles rechtlich korrekt ablaufen.
Quelle: BGH, Beschl. v. 11.06.2025 - XII ZB 183/25
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Bereits 2024 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass die aktuelle Bestimmung zur Vaterschaftsanfechtung nach § 1600 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verfassungswidrig ist. Dem Gesetzgeber wurde vom Gericht daher aufgegeben, bis zum 30.06.2025 eine Neuregelung auf die Beine zu stellen.
Jedoch ist das bislang nicht passiert. Der Erste Senat des BVerfG hat daraufhin die Fortgeltungsanordnungen bis zum 31.03.2026 verlängert. Der Beschluss folgte auf eine Anregung des Bundeskanzlers. Somit soll der Gesetzgeber ausreichend Zeit haben, eine verfassungskonforme Regelung zu formulieren.
Da die verfassungswidrige Rechtslage noch gilt, empfahl das Gericht, bei den zuständigen Fachgerichten die Aussetzung bereits eingeleiteter Anfechtungsverfahren bis zu einer Neuregelung zu beantragen. Der aktuelle § 1600 BGB müsse bis zu einer Neuregelung weitergelten, da sonst bereits anhängige Verfahren nicht ordnungsgemäß zu Ende geführt werden können. Den Vätern würde quasi der Rechtsweg abgeschnitten.
Hinweis: Der Gesetzgeber muss nun schnell handeln! Es muss eine verfassungskonforme Regelung geschaffen werden und dies schnell, denn betroffene Väter müssen immerhin noch acht Monate lang mit der rechtswidrigen Regelung leben. Sie sollten bei den zuständigen Fachgerichten die Aussetzung bereits eingeleiteter Anfechtungsverfahren bis zu einer Neuregelung beantragen.
Quelle: BVerfG, Beschl. v. 03.06.2025 - 1 BvR 2017/21
zum Thema: | Familienrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Zum Thema Mietrecht
- Eigentumsänderungen: Frist für Vorkaufsrecht des Mieters gilt auch bei Teileigentum
- Kündigung wegen Eigenbedarfs: Fachärztliches Attest zum Nachweis der gesundheitlichen Härte nicht unabdingbar
- Mietsicherheit: Gesetzesnorm zu Barkautionen führt bei fehlender Bankbürgschaft nicht zur fristlosen Kündigung
- Mietvertrag mit dem Ex: Wer sich auf längst nicht mehr gelebte Rechtslagen beruft, handelt treuwidrig
- Wasserschäden und Schimmel: Vorschussanspruch schützt vor Kündigung wegen Mietrückstand
Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich mit der Frage beschäftigen, ob ein Mieter ein Vorkaufsrecht hat, wenn an seiner Wohnung Teileigentum (Eigentum an einzelnen, nicht zu Wohnzwecken genutzten Räumen wie Laden- oder Büroflächen) statt Wohnungseigentum begründet wird. Dabei ging es auch um die Frist, in der ein Mieter dieses Recht ausüben muss.
Ein Mann war seit 2006 Mieter einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Nach dem Tod der Grundstückseigentümerin und Vermieterin hatte der Beklagte als Testamentsvollstrecker 2017 Teileigentum an der Wohnung begründet und die Wohnung verkauft. Die Käuferin informierte den Mieter 2018 über den Verkauf und dessen Vorkaufsrecht. Er müsse dieses Recht innerhalb von zwei Monaten ausüben. Doch der Mieter meldete sich erst im August 2019, dass er die Wohnung kaufen wolle. Die Käuferin hatte die Wohnung jedoch zwischenzeitlich zu einem höheren Preis weiterverkauft. Der Mieter verlangte daraufhin Schadensersatz, weil er das Vorkaufsrecht durch die Begründung von Teileigentum nicht rechtzeitig ausüben konnte und dadurch Geld verloren habe.
Alle Gerichte lehnten den Anspruch ab. Der BGH erklärte, dass das Vorkaufsrecht des Mieters auch bei Teileigentum gilt, ähnlich wie bei Wohnungseigentum. Allerdings sei die Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts eine Ausschlussfrist, die nicht verlängert werden kann. Da der Mieter die Frist von zwei Monaten verpasst hatte, war sein Vorkaufsrecht erloschen. Ein Schreiben des Verkäufers, das andeutete, der Mieter könne sich noch entscheiden, änderte daran nichts. Die Frist für das Vorkaufsrecht kann nicht durch eine derartige Vereinbarung verlängert werden.
Hinweis: Das Urteil zeigt, dass Mieter ihr Vorkaufsrecht bei Eigentumsänderungen genau im Blick behalten müssen. Die Frist zur Ausübung ist streng und kann nicht verlängert werden. Auch bei Teileigentum gilt das Vorkaufsrecht, ähnlich wie beim Wohnungseigentum.
Quelle: BGH, Urt. v. 21.05.2025 - VIII ZR 201/23
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Wohnungskündigungen sind für viele Mieter ein schwerer Schlag, da es dabei um weitaus mehr geht als nur um das Dach über dem Kopf. Wenn in der Folge körperliche und oder seelische Folgen zu erwarten sind, kann die sogenannte Härteklausel der Kündigung entgegenstehen. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste klären, ob immer ein fachärztliches Attest nötig ist, um den gegen die Kündigung gewandten Widerspruch plausibel darzulegen.
Ein Mann wohnte seit vielen Jahren in einer Wohnung in Berlin und hatte dort auch eine Untermieterin. Dann passierte das, was für Mieter in Ballungszentren ein Alptraum ist: Die Vermieterin kündigte das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Der Mieter legte daraufhin gegen die Kündigung Widerspruch ein und reichte eine Stellungnahme seines Behandlers ein - kein Facharzt, sondern ein Psychoanalytiker, der psychotherapeutische Behandlungen auf Grundlage des Heilpraktikergesetzes durchführte. In der Stellungnahme hieß es, der Mieter leide an einer schweren Depression, die sich durch einen Umzug stark verschlechtern würde.
Das Amtsgericht gab jedoch der Vermieterin Recht und ordnete die Räumung an. Das Landgericht (LG) bestätigte diese Entscheidung, da der Mieter nicht ausreichend belegt habe, dass ihm ein Umzug wegen seiner Erkrankung nicht zuzumuten sei. Dazu hätte er ein fachärztliches Attest vorlegen müssen.
Die Revision führte jedoch zu einer anderen Entscheidung: Der BGH erklärte, dass nicht immer ein fachärztliches Attest nötig sei. Auch ausführliche schriftliche Erklärungen eines medizinisch qualifizierten Behandlers können ausreichen, wenn sie das Beschwerdebild gut erklären. Entscheidend sei, wie genau und überzeugend die gesundheitlichen Folgen eines Umzugs dargelegt werden. Das LG hätte die vorgelegten Stellungnahmen des Behandlers daher inhaltlich bewerten müssen und konnte sie nicht allein wegen fehlender fachärztlicher Qualifikation ignorieren.
Hinweis: Wer als Mieter wegen gesundheitlicher Gründe Widerspruch gegen eine Kündigung einlegt, muss das gut begründen. Dazu braucht es aber nicht immer ein fachärztliches Attest - auch andere medizinische Nachweise können genügen, wenn sie ausführlich und glaubhaft sind.
Quelle: BGH, Urt. v. 16.04.2025 - VIII ZR 270/22
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Ein Mieter bleibt der Vermieterin die vereinbarte Bankbürgschaft schuldig und wird daraufhin gekündigt. Was zwei Vorinstanzen auch klar so sahen, wie es sich auf den ersten Blick liest, kam beim Bundesgerichtshof (BGH) jedoch nicht so durch. Denn diesem fiel ein Detail im Vertragswerk auf, das beiden Gerichten zuvor offensichtlich durchgerutscht war.
Der Mieter hatte eine Wohnung und einen Tiefgaragenstellplatz gemietet. Im Mietvertrag war festgelegt, dass er eine Bankbürgschaft als Kaution vorlegen müsse. Diese stellte der Mann jedoch nicht. Daraufhin kündigte ihm die Vermieterin das Mietverhältnis wegen der fehlenden Sicherheit - und zwar fristlos. Das Amtsgericht und das Landgericht (LG) gaben der Vermieterin recht und verurteilten den Mieter zur Räumung.
Der BGH entschied jedoch, dass eine fristlose Kündigung wegen nicht gestellter Bankbürgschaft nicht auf einer Vorschrift beruhen kann, die eigentlich den Verzug bei Barkautionen regelt. Diese Vorschrift (§ 569 Abs. 2a Bürgerliches Gesetzbuch) gilt nicht für Bankbürgschaften. Der BGH stellte klar, dass nur bei ausstehender Barkaution eine fristlose Kündigung gemäß dieser Vorschrift möglich sei. Wenn eine andere Art von Sicherheit - wie hier eine Bankbürgschaft - vereinbart wurde, kann der Vermieter das Mietverhältnis nur nach anderen Regeln kündigen. Das LG hatte dabei nicht geprüft, ob andere Kündigungen wegen Zahlungsverzugs oder Eigenbedarfs das Mietverhältnis beendet hatten. Deshalb schickte der BGH den Fall zur erneuten Entscheidung dorthin zurück.
Hinweis: Der BGH stellt klar, dass nicht jede Form der Mietsicherheit gleich behandelt wird. Bei Bankbürgschaften gelten andere Kündigungsregeln als bei Barkautionen. Der Fall zeigt, wie wichtig die Prüfung der jeweiligen Rechtsgrundlagen ist.
Quelle: BGH, Urt. v. 14.05.2025 - VIII ZR 256/23
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Selbst, wenn das Sprichwort gern zitiert wird - nicht immer bleibt, wer schreibt. Beispielsweise unterschreiben Paare Mietverträge, die sich im Laufe eines lange währenden Mietverhältnisses trennen. Das Landgericht Darmstadt (LG) musste sich daher mit der durchaus interessanten Frage beschäftigen, ob eine Kündigung auch gegenüber einem Mitmieter ausgesprochen werden muss, der schon seit Jahrzehnten nicht mehr in der Wohnung lebt.
Ein Ehepaar hatte ein altes Haus gekauft und wollte es abreißen lassen, um neu zu bauen. Als neue Eigentümer kündigten sie daraufhin ein Mietverhältnis, das 1981 mit einem Ehepaar abgeschlossen wurde. Die Kündigung richtete sich nur gegen die Frau, da deren ehemaliger Ehemann in den 1980er Jahren ausgezogen war und dort nicht mehr wohnte. Nun sollte die Frau mit ihrem neuen Partner die Wohnung räumen. Die Mieterin meinte jedoch, dass die Kündigung nicht gültig sei, weil sie nicht auch gegenüber ihrem Ex-Mann ausgesprochen wurde. Das Amtsgericht gab den Eigentümern recht und erklärte, dass die Kündigung nur gegenüber der Frau ausreichend war, weil das Mietverhältnis mit dem Ex-Mann durch seinen Auszug vor vielen Jahren automatisch beendet war.
Das LG bestätigte diese Entscheidung im Berufungsverfahren. Es war nicht entscheidend, ob das Mietverhältnis mit dem Ex-Mann tatsächlich beendet war, sondern vielmehr, dass sich die Frau auf eine formale, längst nicht mehr gelebte Rechtslage berief und dadurch treuwidrig handelte. Ob ein solches Verhalten rechtsmissbräuchlich ist, entscheidet das Gericht stets im Einzelfall. Die Frau wollte vorgeben, mit dem Ex-Mann weiterhin gemeinsam für das Mietverhältnis verantwortlich zu sein, was das Gericht aber für unrealistisch hielt. Es erkannte keine schützenswerten Interessen des Ex-Manns an, da er seit fast 40 Jahren nicht mehr in der Wohnung lebte und keinen Kontakt mehr zur Frau hatte.
Hinweis: Das Urteil zeigt, dass es nicht immer nötig ist, einem Mitmieter zu kündigen, wenn dieser lange ausgezogen und nicht mehr erreichbar ist. Gerichte prüfen genau, ob das Festhalten an solchen formalen Rechten gerechtfertigt ist oder missbräuchlich.
Quelle: LG Darmstadt, Urt. v. 29.04.2025 - 30 S 59/25
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Bei Mängeln in der Mietwohnung ist immer die Frage, ab wann und wie ein Mieter die Mietzahlungen kürzen darf und wann der Vermieter hiergegen gerichtlich vorgehen kann, wenn dies nicht korrekt erfolgt. Das Landgericht Berlin (LG) musste in diesem Fall entscheiden, ob einem Mieter bei einem Vorschussanspruch zur Mängelbeseitigung wegen Zahlungsverzugs gekündigt werden darf oder nicht.
Eine Mieterin wohnte seit Dezember 2017 mit ihren drei Kindern in einer möblierten Wohnung. Dort gab es wiederholt Wasserschäden und Schimmel. Ein Fenster im Kinderzimmer war undicht und ließ sich nicht richtig schließen. Nachdem die Mieterin den Schimmel zunächst selbst beseitigt hatte, trat er im Winter 2018/2019 erneut auf. Ab April 2019 verlangte sie die Mängelbeseitigung und zahlte die Miete deshalb nur noch teilweise. Sie rechnete die verringerten Zahlungen mit einem Vorschussanspruch auf die Sanierungskosten auf. Die Vermieterin kündigte ihr daraufhin mehrfach wegen Zahlungsverzugs, da sie meinte, die Mieterin zahle nicht richtig.
Das Amtsgericht wies diese Kündigungen zurück und verurteilte die Vermieterin zur Mängelbeseitigung. Auch das LG bestätigte diese Entscheidung. Die Mieterin war zur Zeit der Kündigungen nicht wirklich im Rückstand, weil sie ein gesetzliches Zurückbehaltungsrecht wegen der Mängel hatte. Außerdem hatte sie Anspruch auf einen Vorschuss für die Reparaturkosten, den sie mit der Miete verrechnen durfte. Nur die Verpflichtung zur Neuverfliesung war auf die beschädigten Bereiche beschränkt. Das Gericht stellte klar, dass ein Mieter nicht kündbar ist, wenn er ein Leistungsverweigerungsrecht geltend macht, weil der Vermieter den Mangel nicht beseitigt. Dieses Recht gilt auch dann, wenn der Mieter einen Vorschuss für die Reparaturkosten verlangt und damit die Miete entsprechend mindert. Die Kündigung wegen Zahlungsverzugs entfällt rückwirkend, wenn der Mieter die Einrede erhebt, dass der Vertrag wegen des Mangels nicht erfüllt wurde. Allerdings entfällt dieses Zurückbehaltungsrecht, wenn der Mieter ein sinnvolles Sanierungskonzept ablehnt. Hier aber war die Vermieterin nicht in der Lage, die Nutzung des einzigen Bads während der Reparaturzeiten sicherzustellen, weshalb das Angebot nicht wirksam war.
Hinweis: Mieter können bei Mängeln die Miete mindern und einen Vorschuss für Reparaturkosten verlangen. Kündigungen wegen Zahlungsverzugs sind in solchen Fällen meist unwirksam. Wichtig ist hingegen, dass Mieter einem vernünftigen Sanierungskonzept zustimmen.
Quelle: LG Berlin II, Urt. v. 09.04.2025 - 64 S 101/24
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 09/2025)
Zum Thema Verkehrsrecht
- Arglistige Täuschung: Verkäufer trifft auch ohne explizite Nachfrage die Hinweispflicht zu ungewöhnlichen Reparaturen
- Ermittlungen zu Verkehrsverstößen: Wer zumutbare Mitwirkung verweigert, muss zum Schutz der Allgemeinheit ein Fahrtenbuch führen
- Geschwindigkeitsverstoß: Gericht konkretisiert Voraussetzungen zur Rüge eines "lückenhaften" Messprotokolls
- Herzkrank hinterm Steuer: Kenntnis möglicher Ausfallerscheinungen spricht im Ernstfall gegen komplette Schuldunfähigkeit
- Unverhältnismäßig: Kein Abschleppen bei Parken eines Verbrenners an nicht in Betrieb genommener E-Säule
Entscheidungen frei treffen zu können, heißt, dabei weder getäuscht noch bedroht worden zu sein. Diese Entscheidungsfreiheit wird durch § 123 Bürgerliches Gesetzbuch geschützt. Wer dagegen verstößt, muss damit rechnen, dass Erklärungen ihm gegenüber nichtig sind. Das gilt auch dann, wenn der Vertragsgegenstand augenscheinlich ohne Mangel ist. Denn dass Entscheidungs- und Mangelfreiheit zweierlei Dinge sind, zeigt das Landgericht Lübeck (LG) auf.
Der Kläger kaufte bei einem Autohaus einen Gebrauchtwagen. Später zeigten sich Fehlermeldungen - und prompt stellte die beauftragte Werkstatt fest: Das Auto war bereits mehrfach repariert worden; Turbolader, Katalysator, Kupplung, Rumpfmotor und Kühlmittelpumpe seien ausgetauscht worden. Das überraschte den Mann, denn das Autohaus hatte ihn als Käufer hierüber im Verkaufsgespräch nicht informiert. Deshalb klagte der Mann auf Rückabwicklung des Kaufvertrags, nachdem er diesen wegen arglistiger Täuschung angefochten hatte. Das Autohaus weigerte sich jedoch mit der Begründung, es bestehe schließlich keine Pflicht zur Aufklärung über vergangene Reparaturen.
Das LG hat das Auto von einem technischen Sachverständigen begutachten lassen und dem Käufer überwiegend recht gegeben. Der Verkäufer hätte vor Vertragsabschluss den Käufer auf die diversen Reparaturen hinweisen müssen, weil der Käufer vernünftigerweise eine Aufklärung hierüber habe erwarten dürfen. Das Verschweigen von Tatsachen stelle bei entsprechender Offenbarungspflicht eine Täuschungshandlung dar. Dabei sei entscheidend, ob der andere Teil nach Treu und Glauben eine Aufklärung über den verschwiegenen Umstand habe erwarten dürfen. Die hier erfolgten Reparaturen waren in der beschriebenen Anzahl und in ihrem Umfang tatsächlich derart ungewöhnlich, dass sie vom Verkäufer hätten offengelegt werden müssen - und zwar ungefragt. Dass die Informationen dem Verkäufer durchaus bekannt waren, bedingte sich bereits daraus, dass sie im Autohaus selbst durchgeführt wurden.
Hinweis: Unerheblich war für das LG im Übrigen, dass die Reparaturen zum Zeitpunkt des Kaufvertrags bereits drei bis vier Jahre zurückgelegen haben. Denn einerseits sind drei bis vier Jahre nach dem Gericht eine eher kurze Zeitspanne, zum anderen ist der Zeitablauf für den Schutz der Entscheidungsfreiheit bei Vertragsabschluss ohne Bedeutung.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 08.05.2025 - 3 O 150/21
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(aus: Ausgabe 09/2025)
Irgendwann ist "Schluss mit lustig", sagte hier die Behörde. Ob sie dies im Fall erfolgloser Ermittlungen zum Fahrer eines zweifach geblitzten Fahrzeugs zu Recht annahm, musste das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (VG) prüfen. Denn der Halter war der Auffassung, dass sein Schulterzucken ihn quasi auch davon befreien müsse, künftig ein Fahrtenbuch zu führen, und klagte genau dagegen an.
Sein Fahrzeug wurde zuerst in Düsseldorf mit einer Geschwindigkeitsübertretung von 9 km/h geblitzt. Dieser "Schnappschuss" lohnte sich doppelt, denn der Fahrer hielt zu dem Zeitpunkt immerhin auch noch ein Handy in der Hand. Doch es kam noch dicker; am Abend des folgenden Tags wurde das Fahrzeug erneut in Düsseldorf geblitzt, dieses Mal mit 21 km/h zu viel auf dem Tacho. In beiden Fällen wäre neben einer Geldbuße die Eintragung jeweils eines Punkts im Fahreignungsregister erfolgt, doch auf die Anhörungsschreiben im Bußgeldverfahren reagierte der als Fahrzeughalter angehörte Kläger zunächst nicht. Gegen die sodann erlassenen Bußgeldbescheide legte er Einspruch ein. Dazu fügte er den Ausdruck einer E-Mail bei, in der er auf einen Einspruch in einem weiteren Bußgeldverfahren Bezug nahm und angab, das Fahrzeug nicht gefahren zu haben. Auf weitere Nachfragen der Ermittlungsbehörde zum Fahrer reagierte er nicht. Das Bußgeldverfahren wurde eingestellt, weil der auf dem Foto abgebildete Fahrer nicht ermittelt werden konnte. Die zuständige Behörde in Bottrop ordnete gegenüber dem Kläger an, für das Fahrzeug 18 Monate lang ein Fahrtenbuch zu führen. Hiergegen richtet sich die Klage.
Das VG hat die Auffassung der Behörde nun bestätigt und die Klage abgewiesen. Die Behörde musste nicht weiter "ins Blaue hinein" nach möglichen Fahrern des Fahrzeugs suchen - auch nicht in der Nachbarschaft des Klägers, wie dieser meinte. Denn der Kläger hatte die ihm mögliche und zumutbare Mitwirkung erkennbar verweigert. Schließlich habe er durch die Anhörung im Bußgeldverfahren die Obliegenheit, zur Aufklärung des mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes generell so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar sei. Insbesondere habe er den bekannten oder auf einem vorgelegten Lichtbild zu erkennenden Fahrer zu benennen oder zumindest den möglichen Täterkreis einzugrenzen und die Täterfeststellung durch Nachfragen im Kreis der Nutzungsberechtigten des Fahrzeugs zu fördern. Lehne der Fahrzeughalter erkennbar - wie hier - die Mitwirkung an der Ermittlung ab und liegen der Bußgeldbehörde sonst keine konkreten Ermittlungsansätze vor, sei es ihr regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben. Sie kann das Bußgeldverfahren dann einstellen und eine Fahrtenbuchauflage anordnen.
Hinweis: Ein Kfz-Halter kann verpflichtet werden, ein Fahrtenbuch zu führen, wenn er bei der Aufklärung von zwei aufeinanderfolgenden erheblichen Verkehrsverstößen nicht mitwirkt. Art und Umfang ihrer Ermittlungstätigkeit darf die Behörde an den Erklärungen des Fahrzeughalters bei der Anhörung im Bußgeldverfahren ausrichten. Die Fahrtenbuchauflage dient in derartigen Fällen dem Schutz der Allgemeinheit. Das Fahrtenbuch soll helfen, bei künftigen Verkehrsverstößen mit dem Fahrzeug den Täter feststellen zu können. Die Dauer einer Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs bemisst sich nach der Schwere des Verkehrsverstoßes.
Quelle: VG Gelsenkirchen, Urt. v. 10.07.2025 - 14 K 6335/24
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(aus: Ausgabe 09/2025)
Sicherlich gab es in den letzten Jahren der Verkehrsrechtsprechung einige erfreuliche Entscheidungen zugunsten von Klägern, die sich bei Geschwindigkeitsdelikten mit der angewandten Messtechnik anlegten. Dass dies jedoch nicht heißt, dass man im Ernstfall die Messdaten einfach in Zweifel ziehen sollte, ohne dafür stichhaltige Anhaltspunkte zu liefern, zeigt dieser Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG).
Gegen den Betroffenen war wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h eine Geldbuße in Höhe von 520 EUR festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet worden. Der hiergegen gerichtete Einspruch ging dann jedoch in eine andere Richtung, als vom mehrfach vorbelasteten Betroffenen mutmaßlich erhofft: Das Amtsgericht Kassel verurteilte den Mann sogar zu einer Geldbuße von 1.000 EUR und einem Fahrverbot von zwei Monaten, da es sein Verhalten als vorsätzlichen Verstoß würdigte. Dagegen zog der Mann mit einer Rechtsbeschwerde vor das OLG und rügte zudem lückenhafte Messprotokollierungen.
Doch auch vor dem OLG hatte der Betroffene keinen Erfolg, da ein Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen für das Gericht nicht zu erkennen war. Das gelte insbesondere für die Würdigung des Verhaltens als vorsätzlicher Verstoß und daran anknüpfend die verschärfte Ahndung. Der vom Betroffenen gerügte Umgang mit "lückenhaften" Messprotokollen erschöpfte sich in einer bloßen Behauptung und begründet ebenfalls keinen Rechtsfehler. Denn Auffälligkeiten und/oder Besonderheiten in der Falldatei, die in einem Kontext zum Messprotokoll gesehen werden könnten, wurden vom Betroffenen bzw. seinem Verteidiger nicht dargestellt. Das sich in der Akte befindliche Fallbild wies ebenfalls keinerlei Auffälligkeiten auf. Es zeigte in Augen des OLG lediglich einen einsamen Fahrer, der mit entspanntem Gesicht und gemessenen 90 km/h kurz nach Mitternacht durch die Innenstadt rast.
Hinweis: Messprotokolle können als amtliche Urkunden verlesen werden und die Einvernahme von Zeugen ersetzen. Entsprechen Messprotokolle nicht den verbindlichen Vorgaben, muss der Messbeamte als Zeuge vernommen werden. Erinnert sich dieser an die meist schon Monate zurückliegende Messung nicht mehr, liegt kein sogenanntes standardisiertes Messverfahren vor. Das Gericht muss dann eine volle Beweiswürdigung unter anderem unter Bewertung der vom Messgerät erzeugten Falldatei vornehmen. Dabei stellt es die Grundanforderung an die Verteidigung, aus der Falldatei heraus dem Gericht vor der Hauptverhandlung konkrete Auffälligkeiten aufzuzeigen. Nur diesen ist das Gericht verpflichtet, nachzugehen.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 15.05.2025 - 2 Orbs 69/25
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(aus: Ausgabe 09/2025)
Der folgende Fall schlug bundesweit hohe Wellen: Mitten im Herzen Berlins hatte ein 84-Jähriger mit seinem Fahrzeug einen schweren Verkehrsunfall verursacht und dabei eine belgische Touristin und ihr vierjähriges Kind getötet sowie mehrere Personen verletzt. Nun war es am Amtsgericht Berlin-Tiergarten (AG), den Fall so nüchtern wie möglich auf die Frage zu prüfen, welche Schuld dem Fahrer tatsächlich zuzumessen war.
An dem Fall war nahezu alles spektakulär: Der Unfallverursacher war ein alter Mann, der mit 90 statt 30 km/h in Berlin-Mitte an einer Verkehrsstockung vorbeizufahren versuchte und dabei eine Frau und ihr Kind überfuhr. Diesem Unfall mussten nicht nur zahlreiche Fremde beiwohnen, sondern vor allem auch der Kindesvater, der seitdem schwer traumatisiert und nicht mehr arbeitsfähig ist. Der Beklagte, ein ehemaliger Berufskraftfahrer, warf seinerseits ein, zum Zeitpunkt des Unfalls einen Herzanfall erlitten zu haben, als er auf dem Weg war, zum ersten Mal die Grabstelle seiner vor acht Monaten verstorbenen Frau zu besuchen. Die für den Tod der Gattin ursächliche Krebserkrankung sei 2023 auch der Grund gewesen, sich trotz einer festgestellten Herzrhythmusstörung vorerst keinen Schrittmacher einsetzen zu lassen.
Das AG hat den Autofahrer der fahrlässigen Tötung in zwei Fällen, des fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sowie der mehrfachen fahrlässigen Körperverletzung schuldig gesprochen und gegen ihn eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der wesentliche Schuldvorwurf bestand darin, dass der Angeklagte in sein Fahrzeug gestiegen war, obwohl er gewusst hatte, dass er an einer Erkrankung leidet, die jederzeit zu körperlichen Ausfallerscheinungen führen kann. Diese Entscheidung habe schlussendlich zum Tod von zwei Menschen geführt.
Hinweis: Das Gericht ging zwar beim Unfall selbst von Schuldunfähigkeit wegen eines akuten Herzanfalls aus, der Schuldvorwurf ergab sich aber aus dem Fahrtantritt mit dem Wissen um mögliche krankheitsbedingte Ausfallerscheinungen.
Quelle: AG Berlin-Tiergarten, Urt. v. 27.06.2025 - 212 Ls 1/25
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(aus: Ausgabe 09/2025)
Halter von Benzinern haben es nicht leicht. Da ist ein begehrter Parkplatz frei, der E-Fahrzeugen während des Ladevorgangs gewidmet ist. Muss denn dieser Platz auch freibleiben, wenn die Säule noch nicht in Betrieb ist? Ob Letzteres nicht vielmehr ein Problem für E-Fahrzeughalter ist, war nicht die Frage, die das Verwaltungsgericht Hamburg (VG) zu lösen hatte. Vielmehr stand im Raum, ob in derartigen Fällen das Abschleppen des benzinbetriebenen Pkw verhältnismäßig war.
Ein Autofahrer parkte mit seinem Verbrenner auf einem Parkplatz, der nach der Beschilderung E-Autos vorbehalten war. Allerdings hing an der Ladesäule ein Plakat, das die noch ausstehende Inbetriebnahme dieser Säule erst für die nahe Zukunft ankündigte. Ein Polizist erteilte dem Autofahrer dennoch ein Verwarngeld wegen falschen Parkens und ließ das Fahrzeug abschleppen. Der Fahrzeughalter bekam für den Abschleppvorgang daraufhin eine Rechnung von 470 EUR, wogegen er sich zur Wehr setzte. Er sei schließlich befugt gewesen, dort zu parken, da die Säule noch gar nicht in Betrieb gewesen sei.
Das VG gab dem Betroffenen nur zum Teil recht. Denn es sah zunächst den Parkverstoß als durchaus gegeben an. Die Beschilderung "E-Auto" und ein zweites weißes Zusatzzeichen "während des Ladevorgangs" führten dazu, dass der Mann seinen Benziner dort nicht habe parken dürfen. Aus der Beschilderung folge nämlich nicht nur ein Parkverbot für nicht-elektrisch betriebene Fahrzeuge. Sogar elektrisch betriebenen Fahrzeugen, die keinen Ladevorgang durchführen, sei das Parken dort untersagt. Daran war auch die Bewertung der durchgeführten Abschleppmaßnahme zu messen, und der offensichtlich nicht bestehenden Funktionsfähigkeit der Ladesäule kam hierbei ein besonderes Gewicht zu. Denn das Vorrecht zum Parken war ausweislich der Verkehrszeichen eben für Elektrofahrzeuge während des Ladevorgangs angeordnet - und eben nicht etwa für Elektrofahrzeuge im Allgemeinen. Die Funktionsunfähigkeit der Ladesäule hatte somit zur Folge, dass kein Fahrzeug dort hätte parken können, unabhängig von der Antriebsart. Der Parkplatz war zum betreffenden Zeitpunkt somit dem Verkehrsraum vollständig entzogen gewesen. Ein Abschleppen des Fahrzeugs war daher sachlich nicht erklärbar, da es keine positiven rechtlichen Folgen für eventuell vorhandene E-Fahrzeuge entwickle, denn diese dürfen mangels Ladevorgangs dort ebenfalls nicht stehen.
Hinweis: Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Abschleppvorgangs ist es im Regelfall unerheblich, ob durch das verbotswidrige Abstellen eines Fahrzeugs konkret ein bevorrechtigtes E-Fahrzeug am Parken und Laden gehindert wird. Denn bei der rechtswidrigen Inanspruchnahme von Parkraum, der Bevorrechtigten zur Verfügung stehen soll, darf ein Fahrzeug auch ohne konkrete Behinderung der bevorrechtigten Verkehrsteilnehmer und ohne Einhaltung einer besonderen Wartezeit regelmäßig zwangsweise entfernt werden. Nur so kann dem mit der Einrichtung von bevorrechtigten Parkplätzen verfolgten Anliegen hinreichend effektiv Rechnung getragen werden.
Quelle: VG Hamburg, Urt. v. 18.03.2025 - 12 K 3886/24
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(aus: Ausgabe 09/2025)
Zum Thema Sonstiges
- Nutzlos aufgewendete Urlaubszeit: Kommentarlose Kofferrückgabe ist als Absage zu verstehen und zieht Schadensersatzansprüche nach sich
- Sturz bei alpiner Radtour: Reiseveranstalter muss Schadensersatz zahlen, weil Guides einen zu riskanten Weg wählten
- Trotz Krankschreibung: Kein Verletztengeld für ehemaligen Fußballprofi mit laufender Physiopraxis
- Unaufmerksame Flugpassagierin: Reiseveranstalter ist kein Informationsdienst und haftet nicht bei Gateänderungen
- Zu spät am Gate: Fluggesellschaft muss Reisende mitnehmen, wenn das Boarding noch im vollen Gange ist
In diesem Fall bekam eine urlaubsreife Familie nicht etwa die weite Welt, sondern nur den heimischen Flughafen zu sehen - und das gleich zweimal, beide Male umsonst. Dass der unverschuldet geplatzte Urlaub Schadensersatzforderungen nach sich zieht, war erwartbar. Was das Landgericht Frankfurt am Main (LG) dabei aber zudem zu bewerten hatte, war, wie hoch dieser Anspruch ausfallen kann.
Eine Familie hatte eine zweiwöchige Pauschalreise nach Fuerteventura gebucht. Der Hinflug sollte am 27.05.2022 stattfinden, fiel aber aus. Der Veranstalter kündigte dann einen neuen Flug für den Abend des 28.05. an. Die Familie erschien rechtzeitig am Flughafen und wurde mit dem Bus zum Flugzeug gebracht. Doch dort durften sie nicht einsteigen. Stattdessen wurde das Gepäck wieder ausgeladen - und zwar alles ohne Erklärung. Am Abend teilte der Veranstalter dann mit, dass auch dieser Flug nicht stattfinden werde. Die Familie solle ihr Gepäck am Förderband abholen. Einen weiteren Ersatzflug versprach der Veranstalter zwar für den 29.05. Doch die Familie reiste nicht mehr mit und forderte nun stattdessen eine Entschädigung für die verlorene Urlaubszeit. Das erstinstanzliche Amtsgericht sprach ihr zunächst nur für die ersten zwei Tage vollen Ersatz zu und lehnte alles Weitere ab. Für einen weiteren Entschädigungsanspruch fehle es nämlich an dem hierfür erforderlichen Abhilfeverlangen, das vonseiten der Familie hätte initiiert werden müssen.
Das sah das LG völlig anders. Seiner Ansicht nach habe der Veranstalter seine Pflichten nicht nur mit den beiden erfolglosen Abflugversuchen, sondern auch ab dem 29.05. verletzt. Ohne Erklärung sei die Rückgabe der Koffer wie eine Absage zu verstehen gewesen. Für Außenstehende habe das so gewirkt, als wolle der Veranstalter die Reise gar nicht mehr durchführen. Ein neues Boarding sei nicht ernsthaft angeboten worden. Die Familie musste also gar nicht noch einmal ausdrücklich um (Ab-)Hilfe bitten und erhält für die Reisetage ab dem 29.05.eine Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit in Höhe von 50 % des anteiligen Reisepreises. Das Urteil ist rechtskräftig.
Hinweis: Wenn ein Reiseveranstalter nach mehreren gescheiterten Flugversuchen kommentarlos das Gepäck zurückgibt, muss man nicht mehr um Hilfe bitten. Das gilt als klare Absage der Reise. Dann gibt es Geld zurück - auch für die restlichen Urlaubstage.
Quelle: LG Frankfurt am Main, Urt. v. 22.05.2025 - 2-24 S 2/24
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(aus: Ausgabe 09/2025)
Bei einer als "Heavy-Cycling-Tour" beworbenen Radtour sollte man davon ausgehen, dass alles nicht so "easy" wegzulächeln ist, sollte es zu einem Sturz kommen. Doch ob man das unter "selbst schuld" verbuchen muss oder eher die Guides hierbei die Verantwortung tragen, ist wie immer eine Frage der konkreten Umstände. Und diese musste das Landgericht Frankfurt am Main (LG) klären.
Am fünften Tag ihrer Sportreise nahmen ein Mann und seine Partnerin an einer geführten "Heavy-Cycling-Tour" mit E-Bikes teil. Die Tour war auf vier Stunden ausgelegt und führte zunächst über gut befahrbare Wege bis auf etwa 1.800 Meter Höhe. Wegen Schnees und aufgeweichten Bodens änderten die Guides die Route und führten die Gruppe einen schmalen Wanderweg mit steilem Abhang entlang. Dort mussten die Teilnehmer ihre schweren E-Räder schieben. Dabei stürzte der Mann und verletzte sich schwer am Sprunggelenk, woraufhin er mit einem Hubschrauber ins Tal gebracht werden musste, was logischerweise keine billige Angegenheit war. Zudem war der restliche Urlaub futsch, da der Mann die restliche Zeit nicht mehr aktiv nutzen konnte. Also wieder einmal nutzlos aufgewendete Urlaubszeit, die als Reisemangel Ersatzansprüche nach sich zieht?
Das LG prüfte, ob die Tourguides ihre Fürsorgepflicht verletzt hatten, und erkannte im Ergebnis einen Reisemangel an. Die Guides hatten ihre Pflichten verletzt, indem sie einen Weg nahmen, dessen Schwierigkeit und Zustand sie nicht kannten und der höhere Anforderungen stellte als die gebuchte Tour. Der Unfall sei keine normale Gefahr des Lebens, sondern durch die Wahl des Wegs von den Guides verursacht worden. Der Mann trug kein Mitverschulden, denn der Weg war durchaus sehr schwierig und das Schieben der schweren E-Bikes machte einen Sturz besonders gefährlich. Auch die Behauptung, die Verletzung sei auf mangelnde Fitness zurückzuführen, wies das Gericht zurück, da keine Beweise dafür vorlagen. Der Reiseveranstalter musste die Bergungs- und Behandlungskosten übernehmen, eine Entschädigung für den entgangenen Urlaub zahlen und Schmerzensgeld leisten.
Hinweis: Das Urteil ist noch nicht endgültig und kann vor einem höheren Gericht angefochten werden. Wer an geführten Touren teilnimmt, sollte darauf achten, dass die Veranstalter ihre Pflichten kennen und nicht unzureichend vorbereitete Strecken wählen. Die Sicherheit der Teilnehmer steht dabei im Vordergrund.
Quelle: LG Frankfurt am Main, Urt. v. 26.06.2025 - 2-24 O 55/22
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(aus: Ausgabe 09/2025)
Das Bundessozialgericht (BSG) musste sich mit der Frage beschäftigen, ob ein ehemaliger Profifußballer während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit Verletztengeld erhalten kann, wenn er weiterhin Einnahmen aus seinem eigenen Unternehmen erzielt. Wichtig bei der Bewertung waren - wie immer - die Details, und die lagen hier im Mitwirkungsgrad des Verletzten und in der Frage nach einem möglichen Einkommensverlust.
Ein früherer Fußballprofi betrieb nach dem Ende seiner Karriere eine eigene Praxis für Physiotherapie mit mehreren Angestellten. Wegen jahrelanger Kniebelastungen wurde bei ihm eine Berufskrankheit anerkannt, die eine dauerhafte Schädigung des Meniskus zur Folge hatte. Deshalb bekam er bereits eine Verletztenrente. Im Dezember 2014 wurde er schließlich krankgeschrieben und war wegen seiner Kniebeschwerden arbeitsunfähig. Trotzdem leitete er seine Praxis weiter, kümmerte sich um Organisation sowie Kunden und war aktiv im Geschäft tätig. Als er Verletztengeld bei der Berufsgenossenschaft beantragte, lehnte diese den Antrag ab, weil er weiterhin Einkünfte erzielte. Er klagte dagegen - jedoch erfolglos.
Das BSG bestätigte, dass kein Anspruch auf Verletztengeld besteht, sobald während der Arbeitsunfähigkeit Einkommen aus der eigenen Tätigkeit weiterfließt. Dabei ist es egal, ob der Unternehmer selbst körperlich arbeite oder das Einkommen aus laufenden Umsätzen stamme. Das Gesetz sieht hier vor, dass jede Art von Arbeitseinkommen auf das Verletztengeld angerechnet wird. Zwar kann bei vollständiger Arbeitsunfähigkeit eines Selbständigen ein "fiktiver Einkommensverlust" anerkannt werden, wenn das Unternehmen weniger verdient. Das war hier aber nicht der Fall, weil der ehemalige Fußballer weiterhin wichtige Aufgaben übernahm. Es spielte daher auch keine Rolle, ob die Einnahmen durch eigene Arbeit oder automatisch zustande kommen. Solange das Unternehmen Geld einbringt, entfällt der Anspruch auf Verletztengeld.
Hinweis: Wer während einer Krankschreibung Geld aus dem eigenen Unternehmen bekommt, kann also kein zusätzliches Verletztengeld bekommen. Das gilt auch, wenn die Arbeitskraft eingeschränkt ist. Wichtig ist, ob weiterhin im Betrieb mitgearbeitet wird oder die Einnahmen einfach weiterlaufen. Unternehmer sollten deshalb genau prüfen, wie sehr sie im Krankheitsfall wirklich ausfallen, denn das beeinflusst ihren Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung.
Quelle: BSG, Urt. v. 25.03.2025 - B 2 U 2/23 R
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(aus: Ausgabe 09/2025)
Für manche Urlauber beginnt die verdiente Auszeit schon nach dem Check-in am Flughafen. Doch auch, wer den Trubel dort wunderbar ausblenden kann, sollte nie vergessen, dass genau dieser eine gewisse Flexibilität aller Beteiligten erfordert, um reibungslos zu funktionieren. Die Klägerin vor dem Landgericht Köln (LG) war sich dessen wohl nicht bewusst und machte für ihren vermasselten Reisestart den Veranstalter verantwortlich. Zu Recht?
Eine Frau hatte über ein Vergleichsportal eine Pauschalreise nach Kenia mit Hin- und Rückflug sowie Hotel und Verpflegung gebucht. Am Tag des Abflugs wartete sie am Flughafen Frankfurt pünktlich am Gate A24, so wie es auf der Bordkarte stand. Kurz vor dem Boarding, also dem Einstieg, erfuhr sie auf Nachfrage, dass der Flug nun jedoch von Gate A9 starten sollte. Man ahnt es: Dort kam sie zu spät an, sie verpasste den Flug. Die Frau behauptete, es habe keinerlei Durchsagen oder Anzeigen am Flughafen gegeben, die sie rechtzeitig über das geänderte Gate informiert hätten. Der Reiseveranstalter widersprach, da Änderungen am Flughafen stets auf Monitoren angezeigt und ebenfalls Lautsprecherdurchsagen gemacht werden würden. Zudem würden Personen, die nach ihrem Check-in nicht rechtzeitig am korrekten Gate eintreffen, namentlich aufgerufen werden.
Das LG sah es so, dass kein Mangel an der Reise vorlag, weil der Flug planmäßig und am richtigen Tag stattfand. Welches Gate das war, sei nicht Teil des Reisevertrags. Außerdem erkannte das Gericht keine Pflichtverletzung des Reiseveranstalters, da er nicht dafür zuständig sei, über solche Änderungen zu informieren. Diese Informationen seien am Flughafen üblich und würden von der Fluggesellschaft oder dem Flughafen bereitgestellt. Die Reisende konnte nicht beweisen, dass keine Durchsagen oder Anzeigen gemacht wurden, sondern gab nur an, diese nicht bemerkt zu haben. Das Gericht wies die Klage auf Entschädigung ab.
Hinweis: Wer eine Pauschalreise bucht, muss wissen, dass sich das Abfluggate kurzfristig ändern kann und die Informationen am Flughafen deshalb stets im Blick zu behalten sind. Der Reiseveranstalter muss nicht als ständiger Informationsdienst über alle Änderungen informieren. Reisende sollten daher aufmerksam auf Durchsagen und Monitore achten, um ihre Flüge nicht zu verpassen.
Quelle: LG Köln, Urt. v. 20.03.2025 - 2 O 242/24
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(aus: Ausgabe 09/2025)
Bis wann Fluggäste am Gate boarden müssen - also schlichtweg in den Flieger steigen müssen -, um ihre Mitnahme noch sicherzustellen, war die Frage, die vor dem Landgericht Frankfurt am Main (LG) landete. Des Pudels Kern dabei war, wie spät "zu spät" ist und welche Zeichen dafür sprechen, doch noch Glück haben zu können.
Eine Gruppe von fünf Personen kann sich je nach Urlaubslaune schnell verhalten wie eine Tüte Mücken. Dennoch hatten die Fünf es nicht nur geschafft, einen Flug von Frankfurt am Main nach Doha zu buchen, sondern kamen auch rechtzeitig zum Check-in-Schalter und erhielten dort ihre Bordkarten. Auf diesen stand, dass das Gate 20 Minuten vor Abflug schließen würde. Bei einem Flug, der wie hier um 17:35 Uhr starten sollte, ergab das folglich, dass das Gate um 17:15 Uhr geschlossen werden würde. Genau das setzten die Flughafenmitarbeiter entsprechend um. Erst kurz darauf traf die fünfköpfige Gruppe dort ein und staunte nicht schlecht: Das Flugzeug stand noch am Flugsteig, die Türen waren noch geöffnet und andere Passagiere warteten noch vor dem Einstieg - dennoch verweigerte die Fluggesellschaft ihr den Zutritt zum Flugzeug. Auf lange Gesichter folgte schließlich die Klage: Die Fünf verlangten jeweils 600 EUR Entschädigung nach der Fluggastrechteverordnung.
Das Amtsgericht lehnte das noch ab, doch das LG gab den Fünfen nun Recht. Die Airline hätte die Gruppe noch an Bord lassen müssen. Zwar müssen Reisende grundsätzlich rechtzeitig am Flugsteig sein - wenn das Boarding aber noch nicht abgeschlossen ist, die Türen noch offen stehen und der Vorfeldbus noch nicht abgefahren ist, entsteht keine Verzögerung für den Flug. In diesem Fall war der Einstieg noch in vollem Gange. Daher hätte die Gruppe noch mitfliegen dürfen. Das Urteil ist rechtskräftig.
Hinweis: Wer am Gate nur wenige Minuten zu spät erscheint, während der Flieger noch offen ist, darf nicht einfach stehengelassen werden. Fluggesellschaften dürfen das Boarding nicht früher als angekündigt schließen. Es kommt auf den tatsächlichen Ablauf an - nicht nur auf die Uhrzeit.
Quelle: LG Frankfurt am Main, Urt. v. 05.06.2025 - 2-24 S 93/24
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 09/2025)