Aktuelles
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Zum Thema Arbeitsrecht
- Beschäftigungsverhältnis beendet: Auch ein Schwerbehindertenvertreter kann Renteneintritt nicht einfach nach hinten verlegen
- Entfristung des Beschäftigungsverhältnisses: Gefälligkeitsschreiben wandelt Arbeitsverhältnis nicht in unbefristete Anstellung um
- Hypothetische Karriereentwicklung: Wenn der Betriebsrat Anspruch auf eine höhere Vergütung hat
- Kündigung Schwerbehinderter: Ohne notwendige Zustimmung des Integrationsamts verlängert sich Klagefrist
- Unwirksame Kündigung: Bedrohungslage sollte als solche gemeint und auch als solche aufgefasst werden
Was passiert eigentlich, wenn der Schwerbehindertenvertreter im Betrieb in Rente geht? Dann ist er sein Amt los. Kann er womöglich die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses verlangen? Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat hier einen klaren Standpunkt vertreten: Nein, kann er nicht. Lesen Sie hier, warum.
Das Arbeitsverhältnis eines Schwerbehindertenvertreters der Freien und Hansestadt Hamburg sollte mit Erreichen des Pensionsalters enden. Der Mann wollte jedoch sein Amt fortführen, was jedoch nur möglich sei, wenn auch sein Beamten- oder Arbeitsverhältnis weiterliefe. Und genau dies hat der Mann in diesem Fall versucht, auf dem Gerichtsweg zu erreichen; er wollte seine berufliche Auszeit hinauszögern. Sein Hauptargument dabei war, dass auch sein Vertreter seinen Rücktritt angekündigt habe.
Das OVG hat den Antrag auf Verlängerung des Beschäftigungsverhältnisses jedoch abgewiesen. Das Interesse an der Weiterführung eines Amts einer gewählten Interessenvertretung ist von vornherein nicht geeignet, ein dienstliches Interesse für das Hinausschieben des Ruhestands zu begründen. Die Interessenvertretung nimmt ihre gesetzlichen Aufgaben unabhängig wahr und entscheidet, wie sie ihre Aufgaben sinnvoll, notwendig und effizient erfüllen. Bei der Vertretung der Interessen schwerbehinderter Beschäftigter handelt es sich um ein Wahlamt, das nur für bestimmte Zeiträume übertragen wird.
Hinweis: Ein Interessenvertreter schwerbehinderter Menschen hat zur Weiterführung dieses Amts also keinen Anspruch auf Hinausschieben seines Ruhestands. Gleiches wird auch für den Betriebs- oder Personalrat gelten.
Quelle: Hamburgisches OVG, Beschl. v. 23.11.2023 - 20 E 4656/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Befristete Arbeitsverhältnisse sind für Arbeitgeber von großem Vorteil - zumindest, wenn sie sämtliche formelle Voraussetzungen erfüllen. Dass Arbeitnehmer ihrerseits hier und da auch mal einige Kniffe anzuwenden versuchen, um aus einem befristeten fix ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu machen, zeigt dieser Fall des Arbeitsgerichts Bremen (ArbG).
Ein angestellter Lehrer war als Lehrkraft bei einer privaten Schule angestellt. Sein Arbeitsvertrag war auf 23 Monate befristet und sollte im Juli 2023 enden. Im Februar 2023 wendete sich der Arbeitnehmer an den Arbeitgeber mit der Bitte um eine Bescheinigung über den Bestand des Arbeitsverhältnisses. Sein Verlangen begründete er damit, dass er die entsprechende Bescheinigung benötige, um sie einer Behörde vorzulegen. Der Arbeitgeber stellte dem Lehrer eine Arbeitsbescheinigung aus, aus der ersichtlich sei, dass sich dieser in einem befristeten Arbeitsverhältnis befand. Das reichte dem Arbeitnehmer jedoch nicht, denn danach bat er seinen Arbeitgeber, ihm eine Bescheinigung über ein unbefristetes Arbeitsverhältnis auszustellen. Auch diese Bescheinigung erteilte der Arbeitgeber. Man ahnt - das war unklug. Und tatsächlich: Der Arbeitnehmer nahm die zweite Bescheinigung zum Anlass, sich darauf zu berufen, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis entfristet habe, und klagte. Dem hielt der Arbeitgeber entgegen, dass er die Bescheinigung aus reiner Freundlichkeit bzw. Gefälligkeit ausgestellt habe.
Und auch das ArbG entschied, dass das Beschäftigungsverhältnis mit der Befristung endete und nicht fortbestand. Aus der Arbeitsbescheinigung, die dem Arbeitnehmer erteilt wurde, und den Umständen des Zustandekommens war nicht davon auszugehen, dass der Arbeitgeber sich dadurch mit dem Mitarbeiter auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag einigen wollte.
Hinweis: Passieren bei der Befristungsabrede Fehler, ist die Befristung oftmals unwirksam und ein unbefristeter Vertrag entstanden. Dann muss der Vertrag erst gekündigt werden, und der Arbeitnehmer kann sich gegen eine solche Kündigung wehren.
Quelle: ArbG Bremen, Urt. v. 14.12.2023 - 8 Ca 8266/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Für Arbeitgeber ist es nicht immer leicht, die richtige Vergütungshöhe für Betriebsratsmitglieder zu finden. Den Ausschlag, einem Betriebsratsmitglied hier die begehrte Eingruppierung zuzusprechen, gab in Augen des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen (LAG) die Überlegung, welche Verdienstmöglichkeiten der Kläger hätte erreichen können, hätte er sich ausschließlich der eigenen Karriere gewidmet.
Der Arbeitgeber hatte die Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds reduziert, nachdem der Bundesgerichtshof eine entsprechende Entscheidung in einem strafrechtlichen Untreueverfahren ranghoher Führungskräfte des Unternehmens getroffen hatte. Für die Monate Oktober 2022 bis Januar 2023 sollte der Betriebsrat jeweils gut 500 EUR monatlich weniger erhalten. Der Arbeitgeber forderte die entsprechende Differenz daher auch von ihm zurück und bezahlte ihn seitdem nach der niedrigeren Eingruppierung. Ein Arbeitnehmer zahlte den entsprechenden Betrag zwar auch unter Vorbehalt zurück, zog daraufhin jedoch vor Gericht. Dort verlangte er einerseits die von ihm gezahlte Vergütungsdifferenz zurück und begehrte zudem die Feststellung, dass der Arbeitgeber weiterhin verpflichtet sei, ihm monatlich ein Gehalt entsprechend der zuvor geleisteten - höheren -Eingruppierung zu zahlen.
Das LAG entschied, dass der Beschäftigte durchaus Anspruch auf die höhere Vergütung hatte. Das begründete das Gericht damit, dass der Arbeitnehmer die Voraussetzungen für eine hypothetische Karriereentwicklung dargelegt hatte. Und eben diese Darlegung habe der Arbeitgeber nicht ausreichend bestritten. Es sei deshalb davon auszugehen, dass der Beschäftigte ohne die Tätigkeit im Betriebsrat die höhere Entgeltgruppe bereits erreicht hätte.
Hinweis: Unter Umständen muss in dieser Sache noch das Bundesarbeitsgericht entscheiden. Jedenfalls kann ein freigestellter Betriebsrat grundsätzlich die gleiche Vergütung verlangen, wie andere nicht freigestellte Kollegen im Betrieb.
Quelle: LAG Niedersachsen, Urt. v. 08.02.2024 - 6 Sa 559/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Die Kündigung schwerbehinderter Arbeitnehmer ist immer wieder Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen. Dass in der Regel vor einer derartigen Kündigungskonstellation die Zustimmung des Integrationsamts einzuholen ist, war dem Arbeitgeber im Fall des Arbeitsgerichts Iserlohn (ArbG) womöglich bekannt. Dass ein diesbezügliches Versäumnis sich aber auf den Fristablauf einer Kündigungsschutzklage auswirkt, mutmaßlich eher nicht.
Der Arbeitgeber hatte einem schwerbehinderten Arbeitnehmer gekündigt. Der Beschäftigte hatte sich daraufhin mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung gewehrt. Diese wollte der Arbeitgeber jedoch nicht gelten lassen und vertrat den Standpunkt, dass sie verspätet eingereicht worden sei. Der Arbeitgeber hatte allerdings nicht die notwendige Zustimmung des Integrationsamts eingeholt. Diese wäre jedoch nach § 168 Sozialgesetzbuch IX erforderlich gewesen. Der Arbeitnehmer argumentierte, dass deshalb nicht nur die Kündigung unwirksam sei, sondern auch die Frist für die Kündigungsschutzklage nicht begonnen habe. Deshalb sei die Kündigungsschutzklage noch rechtzeitig erhoben worden.
Das ArbG entschied, dass der Arbeitnehmer seine Kündigungsschutzklage nicht nur rechtzeitig eingereicht habe, sondern damit auch noch erfolgreich war: Das Gericht erklärte die Kündigung für unwirksam. Die dreiwöchige Klagefrist beginnt nämlich erst mit Bekanntgabe der behördlichen Entscheidung an den Arbeitnehmer (§ 4 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)). Diese Bekanntgabe gab es jedoch nicht, da es den Antrag auf Zustimmung schon gar nicht gab. Und genau deshalb sei die Klagefrist logischerweise auch nicht verstrichen. Das ArbG wies im Zusammenhang mit der Entscheidung aber auch darauf hin, dass sich Beschäftigte nicht unbegrenzt Zeit lassen dürfen. Schließlich verwirke das Klagerecht irgendwann. Nach § 5 KSchG können Gekündigte zwar die Zulassung einer verspäteten Klage beantragen, wenn sie zum Beispiel wegen Krankheit an einer rechtzeitigen Klage gehindert waren. Ein solcher Antrag sei allerdings nur innerhalb von sechs Monaten ab Ablauf der Dreiwochenfrist möglich. Und eben diese Sechsmonatsfrist gelte ebenso für die Verwirkung.
Hinweis: Ohne Zustimmung des Integrationsamts darf ein Arbeitgeber nur kündigen, wenn das Beschäftigungsverhältnis noch keine sechs Monate existiert oder der schwerbehinderte Arbeitnehmer das 58. Lebensjahr vollendet und Anspruch auf eine Sozialplanabfindung hat.
Quelle: ArbG Iserlohn, Urt. v. 24.10.2023 - 4 Ca 675/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Wer am Arbeitsplatz jemandem droht, muss mit Konsequenzen rechnen. Die Frage, ob eine solche Situation jedoch unbeabsichtigt oder eben gewollt entsteht, ist dafür entscheidend. Dieser Fall, der vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (LAG) landete, macht deutlich, wie schwierig solche Kündigungssachverhalte arbeitsrechtlich zu erfassen sein können.
Ein Arbeitnehmer wurde gemeinsam mit einer Kollegin an einem Probierstand eingesetzt. Dabei kam es zu einer Situation, in der sich die Frau von dem Mann dadurch bedroht fühlte, als dieser ihr mit einem 20 cm langen Fischfiletiermesser in der Hand auf Höhe ihres Halses zu nahe kam. Die Arbeitnehmerin beschwerte sich beim Arbeitgeber über das Verhalten des Kollegen - und dieser nahm das zum Anlass, dem Arbeitnehmer nach einer entsprechenden Anhörung des Betriebsrats fristlos und hilfsweise ordentlich zu kündigen. Dabei begründete er die Kündigung allerdings nicht mit einem strafrechtlich relevanten Verhalten seines Arbeitnehmers, sondern stützte sich vielmehr auf eine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung.
Das LAG stellte klar, dass eine ernst gemeinte Drohung selbstverständlich ein wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung sein könne. Das Gericht entschied hier jedoch, dass die Kündigung unwirksam sei. Das begründete das Gericht damit, dass der Arbeitnehmer seiner Kollegin hier nicht ernsthaft gedroht hatte. So sprach auch die Beweisaufnahme dafür, dass weder der Arbeitnehmer den Willen hatte, seine Kollegin zu bedrohen, noch dass diese die Drohung (zuerst) als ernst gemeint aufgefasst habe. Gegen die Ernsthaftigkeit der Drohung sprach dabei, dass die Kollegin Zeugenaussagen zufolge nach dem Vorfall gelacht und sich erst viel später hilfesuchend an den Betriebsrat gewendet habe. Das LAG sah es hier daher als möglich an, dass sich der Mann mit dem Messer in der rechten Hand mit dem Oberkörper zur Kollegin gedreht habe und bei dieser Drehbewegung seine rechte Hand mit dem Messer nahe an ihren Hals gelangt sei. Unangenehm und nicht unriskant - aber eben kein Kündigungsgrund.
Hinweis: Wer Kollegen ernsthaft bedroht, sollte sofort eine Kündigung erhalten. Es muss sich dabei aber eben auch um eine wirklich ernsthafte Bedrohung handeln.
Quelle: LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 13.07.2023 - 5 Sa 5/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Zum Thema Familienrecht
- Freier Wille: Persönliche Ablehnung eines geeigneten Betreuers muss respektiert werden
- Keine Härtefallscheidung: Außereheliche Schwangerschaft ist keine unzumutbare Härte für die Schwangere selbst
- Nachweis akuter Gefahr: Keine zweijährige Zwangsbehandlung von psychisch Kranker ohne konkreten Gefährdungsgrad
- Nicht leibliches Kind: Nach Trennung ist sozialer Vater im Umgang nicht rechtlos
- Unveräußerbares Kindeswohl: Regelung zu Vertragsstrafe in Umgangsvereinbarung ist unwirksam
Wer seine Angelegenheiten nicht (mehr) selbst besorgen kann, weil er dement oder geistig oder psychisch eingeschränkt ist, bekommt einen gerichtlichen Betreuer beigeordnet, wenn er niemanden aus der Familie bevollmächtigt hat. Der Bundesgerichtshof (BGH) musste entscheiden, ob der Wille der Betroffenen oder eine objektive Betrachtung der Situation Antwort auf die Frage geben soll, ob und inwieweit die Befugnisse eines Berufsbetreuers erweitert werden.
Eine knapp 40-jährige Frau hatte schon Jahrzehnte eine solche Betreuung, weil sie unter dem Asperger-Syndrom litt. Der Berufsbetreuer, der sich bislang nur um ihre Post und ihr Geld zu kümmern hatte, wollte nun auch die Gesundheitsfürsorge übernehmen, nachdem die Frau einen Konflikt mit ihrer Krankenkasse nicht selbst lösen konnte und deshalb ein Verfahren am Sozialgericht lief. Die Betreute wollte aber in diesem Bereich lieber durch ihre Mutter vertreten werden.
Gegen den freien Willen eines Volljährigen darf kein Betreuer bestellt werden (§ 1814 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Das umfasst - so der BGH - nicht nur die Betreuung als solche, sondern auch die Betreuungsperson. Wenn eine Betroffene ausdrücklich eine Betreuungsperson wünscht und das ihr "freier Wille" ist, muss das Gericht dies berücksichtigen. Für einen "freien Willen" bedarf es dabei nicht einmal der Geschäftsfähigkeit. Die beiden entscheidenden Kriterien hierfür sind zum einen die Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und zum anderen dessen Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln und sich dabei von den Einflüssen interessierter Dritter abzugrenzen. Das Gericht darf dann auch nicht prüfen, ob es objektiv vorteilhafter wäre, dass ein Berufsbetreuer sich kümmert, weil er es besser kann - der "freie Wille" ist höherrangig gegenüber objektiven Vorteilen. Deshalb war es nun hier an einem Gutachter, zu prüfen, ob die Mutter als Betreuerin für die Gesundheitsfürsorge zu bestellen ist.
Hinweis: Gründe, den vom Betreuten mit freiem Willen benannten Betreuer nicht zu bestellen, gibt es nur zwei: Der Betreuer selbst lehnt ab oder er ist objektiv ungeeignet für die Aufgabe.
Quelle: BGH, Beschl. v. 10.01.2024 - XII ZB 217/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Ist eine Verheiratete schwanger, und zwar nicht vom Ehegatten, kann dies durchaus einen Grund für eine sogenannte Härtescheidung sein. Im folgenden Fall war dies der Grund für eine Schwangere, um für sich Verfahrenskostenhilfe (VKH) für die Stellung eines Scheidungsantrags zu beantragen. Das Oberlandesgericht Zweibrücken (OLG) jedoch lehnte ab. Lesen Sie hier, warum.
Die einzige Möglichkeit, ohne Trennungsjahr unverzüglich geschieden zu werden, ist eine Unzumutbarkeit der weiteren Eheführung. Früher wurde eine solche Unzumutbarkeit in einer Schwangerschaft der Ehefrau von einem anderen Mann gesehen - die letzten positiven obergerichtlichen Entscheidungen dazu sind aber auch schon über 20 Jahre alt (z.B. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13.04.2000 - 20 WF 32/00). Auch heutzutage kann ein solcher Umstand Ausschlag dafür geben, das Trennungsjahr auszusparen und früher geschieden zu werden. Die Antragstellerin war hier nicht nur von einem anderen Mann schwanger, sondern trug vor, zudem an Depressionen zu leiden, die ein weiteres Zusammenleben unzumutbar machten. Dennoch lehnte das Familiengericht die VKH ab - es sah schlichtweg keine Aussichten auf Erfolg.
Das OLG schloss sich dieser Auffassung an. Sowohl eine außereheliche Schwangerschaft als auch eine Depressionserkrankung können zwar durchaus Härtefälle darstellen. Auf keinen Fall kann sich aber die Ehefrau selbst darauf berufen, wenn sie den Antrag auf Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres stellt. Denn weder die vorgetragene Depressionserkrankung der Antragstellerin noch die Schwangerschaft seien in der Person des Antragsgegners begründet. Und diese Begründung ist für die Härtefallregelung unverzichtbar. So verweigerte auch das OLG der schwangeren Frau die VKH.
Hinweis: Die Fortsetzung der Ehe muss für den Antragsteller selbst eine unzumutbare Härte darstellen, die in der Person des anderen Ehegatten begründet sind. Das soll verhindern, dass sich der Antragsteller auf eigene gravierende Unzulänglichkeiten berufen kann. Ebenfalls nicht unzumutbar ist ein Abwarten des Trennungsjahres, wenn alle Härten des Zusammenlebens allein schon durch eine räumliche Trennung beendet werden können (beispielsweise bei häuslicher Gewalt).
Quelle: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 07.02.2024 - 2 WF 26/24
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Wer psychisch schwer erkrankt ist und deshalb unter gerichtlicher Betreuung steht, ist naturgemäß nicht immer einsichtig - auch was die notwendige Medikamentierung angeht. Welche Möglichkeiten den Betreuern in derartigen Lagen offenstehen und was vor allem dafür an gerichtlicher Vorarbeit zu leisten ist, zeigt das folgende Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH).
Eine 50-Jährige war bereits viele Jahre paranoid und psychotisch. Ihr Medikament schlug nicht mehr an, ein anderes Medikament wollte sie nicht ausprobieren. Deshalb beantragte die Betreuerin eine gerichtliche Genehmigung zur Zwangsbehandlung in einer Klinik, verbunden mit Zwangsunterbringung für zwei Jahre, weil die Dosierung längerfristig erprobt und eingestellt werden müsse. Außerdem bestehe die Hoffnung, dass die Betreute nach einer so langen Behandlung einsichtig genug geworden sei, anschließend ihre Medikamente freiwillig einzunehmen.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung psychisch Kranker sind sehr hoch, das ist als Folge ärztlichen Verhaltens im Nationalsozialismus zu verstehen. Allein die Tatsache, dass es vernünftig wäre, eine Langzeittherapie mit einem neuen Medikament zu beginnen, genügt dafür nicht. Auch der psychisch Kranke verdient Respekt vor seinem Willen, solange keine akute, ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten vorliegt. Die Hinweise in der Akte darauf, dass die Betroffene durch ihr Wahnerleben so stark beeinträchtigt sei, dass "sie sich nicht mehr ausreichend selbst versorgen (...), keinerlei Gefahren abschätzen (...) und Dritte bedrohen" könne, genügten dem BGH dafür nicht. Erforderlich wären nähere Feststellungen zur konkreten Art der befürchteten selbstschädigenden Handlungen und der durch sie möglicherweise eintretenden erheblichen Gesundheitsschäden. So gab der BGH die Akte an das Landgericht zurück, um die Antworten zum konkreten Gefährdungsgrad zu ermitteln.
Hinweis: Die Entscheidung zeigt das Grundrecht des Menschen zu selbstschädigendem Verhalten auf.
Quelle: BGH, Urt. v. 17.01.2024 - XII ZB 434/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Im folgenden Fall musste das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) nach dem Amtsgericht Bensberg (AG) über den Umgang mit einem Fünfjährigen entscheiden, dessen Eltern sich noch vor seiner Geburt getrennt hatten. Der Mann, mit dem die Mutter danach zusammenlebte und von dem sie sich nach gut vier Jahren kurz nach der Geburt eines gemeinsamen Kindes wieder trennte, wünschte sich aber weiterhin Kontakt mit dem Fünfjährigen.
Die Mutter, die wieder mit dem Vater des Fünfjährigen zusammenlebte, verweigerte dem Expartner den Umgang mit seinem einstigen Ziehsohn. Doch auch enge Bezugspersonen können ein Recht auf Umgang mit dem Kind haben (§ 1685 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch), wenn sie für dieses Kind die tatsächliche Verantwortung tragen bzw. getragen haben und der Umgang dem Wohl des betroffenen Kindes dient. Das AG stellte daher fest, dass der Antragsteller eine ähnlich wichtige Bezugsperson für das Kind wie die leiblichen Eltern sei, da er mit dem Kind über mehrere Jahre in häuslicher Gemeinschaft gelebt und der Junge ihn von Beginn an als "Papa" angesehen habe. Der Bindungsabbruch aufgrund der ablehnenden Haltung der Eltern habe ein solches Maß erreicht, dass sich hieraus eine Gefahr für die Entwicklung des Kindes ergeben könne. Deshalb bestellte das Gericht einen Umgangspfleger, der durchzusetzen habe, dass der Junge in den ungeraden Kalenderwochen von Freitag 15 Uhr bis Montag 9 Uhr und jede Woche dienstags von 15 Uhr bis mittwochs 9 Uhr bei diesem Mann verbringe. Auf die Anhörung des Kindes verzichtete das AG, um den Loyalitätskonflikt nicht zu vertiefen, nachdem die Eltern zum Anhörungstermin des Kindes eine Krankmeldung eingereicht hatten. Die Eltern legten Beschwerde ein und verweigerten in der Zwischenzeit auch die Zusammenarbeit mit der Umgangspflegerin.
Das OLG hob die Entscheidung auf, weil sie nicht ohne die Anhörung des Kindes hätte ergehen dürfen. Das AG hätte sich selbst ein Bild von dem betroffenen Kind machen und notfalls erzwingen müssen, dass die Eltern es dafür zum Gericht bringen - notfalls mit Zwangsgeld oder Zwangshaft. Für das erneute Verfahren beim AG gab das OLG zu bedenken, dass die Umgangsregelung zu großzügig sein könnte, weil sie sich am Üblichen für leibliche Eltern orientierte. Üblich seien stattdessen eher Tagesbesuche. Insbesondere sei zu berücksichtigen, dass zwischen den drei Erwachsenen erhebliche Spannungen herrschen und die Kindeseltern sich vehement gegen einen Umgang ausgesprochen hatten. Es sei daher nur schwer vorstellbar, wie innerhalb eines großzügigen Umgangsrechts erzieherische und organisatorische Absprachen ablaufen sollten.
Hinweis: Anders als der leibliche Vater hat eine "sonstige Bezugsperson" auch während des Umgangs keinerlei Entscheidungsbefugnisse.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 18.01.2024 - 6 UF 224/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Im folgenden Streitfall lag das Familiengericht mit der Regelung außerhalb Europas zum Umgang der Kinder mit ihrem Vater und dessen Zugewinnleistung für die mit den Kindern lebende Mutter nicht gänzlich falsch. Was die nach Gegenwehr der Mutter damit befassten Instanzen - Amtsgericht (AG) und Oberlandesgericht (OLG) - nicht bemängelten, machte der Sache aber vor dem Bundesgerichtshof (BGH) einen Strich durch die Rechnung.
Es standen sich die Zugewinnforderung einer Ehefrau und der Umgangswunsch des Ehemanns mit seinen Kindern gegenüber. Die Kinder lebten mit der Mutter in Peru. Weil sein Umgangsrecht dort schwer durchzusetzen war, machte der Vater die Zahlung des Zugewinnausgleichs in Raten davon abhängig, dass die Umgangsvereinbarung auch tatsächlich klappte: Die jährliche Rate von 20.000 EUR sollte in den nächsten drei Jahren jeweils erst dann fällig werden, nachdem die gemeinsamen Kinder drei Wochen Sommerumgang mit dem Vater in Deutschland gehabt haben. Die Mutter stimmte zu, das Familiengericht protokollierte dies als Vereinbarung und billigte diese im Hinblick auf das Kindeswohl, ohne die Kinder angehört oder das Jugendamt beteiligt zu haben. Dann klagte die Frau auf Unwirksamkeit der Vereinbarung. Weder wollte sie den Vergleich zum Zugewinn akzeptieren noch ein Ordnungsgeld für den Fall riskieren, dass sie den Umgang mit den Kindern vereitelt. AG und OLG gaben ihr nicht recht - doch was sagte der BGH?
Der BGH verwies darauf, dass eine Verknüpfung von Geld und Umgang immer kritisch zu betrachten sei. Kinder dürfen nicht zum Gegenstand eines Handels werden, ihr Wohl darf nicht verkauft werden. Das ist sittenwidrig und wird als unzulässige Kommerzialisierung des Elternrechts beurteilt. Die Gerichte hatten hier zwar keine Zweifel daran, dass der Vater ohnehin ein Recht auf dreiwöchigen Sommerurlaub mit den Kindern habe, und verstanden, dass es ihm nur darum ging, die Lästigkeiten oder Unmöglichkeiten einer Vollstreckung im außereuropäischen Ausland zu beseitigen. Die Vereinbarung hatte daher den Charakter einer Vertragsstrafe. Das wäre bei einem solchen Auslandsfall prinzipiell zwar möglich, weil die Motive nicht kindeswohlwidrig sind. Dennoch sah es der BGH als Problem, dass es kein Umgangsverfahren gegeben hatte, in dem das Kindeswohl geprüft, die Kinder angehört und das Jugendamt beteiligt worden wären. Zudem merkte der BGH an, dass sich das Kindeswohl in den nächsten Jahren ändern und es somit künftig auch gute Gründe geben könne, aus denen der Umgang mit dem Vater in Deutschland nicht stattfinde. Es fehlte eine Regelung dazu, was dann mit dem Zahlungsanspruch der Mutter geschehen solle. Daher kam der BGH nicht umhin, der Mutter recht zu geben und den Vergleich als insgesamt nichtig zu erklären.
Hinweis: Die Entscheidung des BGH führte dazu, dass auch über den Zugewinn neu verhandelt werden musste.
Quelle: BGH, Urt. v. 31.01.2024 - XII ZB 385/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Zum Thema Mietrecht
- Basis für Mietpreisbremse: Vermieter muss nicht überprüfen, ob Vormiete rechtlich zulässig war
- Installationspflicht unumgänglich: Bayerischer VGH erklärt Rauchwarnmelder für verfassungsgemäß
- Mieterhöhung: Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete kann nicht auf das Gericht abgewälzt werden
- Rückschnitt einer Hecke: Wer selbst Regeln bricht, kann nach Treu und Glauben von Ansprüchen ausgeschlossen werden
- Vergebliche Wohnungssuche: LG Berlin ordnet befristete Fortsetzung eines Mietverhältnisses an
Die sogenannte Mietpreisbremse in Ballungszentren führt immer wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Klar ist, dass bei neuem Vertragsabschluss die Vormiete als Basis für die Festlegung der aktuellen Miete dienen soll. Was hier jedoch unklar war: Muss der Vermieter darüber aufklären, ob und dass diese Vormiete als Bemessungsgrundlage bereits zu hoch angesetzt war? Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte hierüber das letzte Wort.
Ein Inkassodienstleister ließ sich von einem Mieter Ansprüche wegen eines behaupteten Verstoßes gegen die Begrenzung der Miethöhe gegen den Vermieter abtreten und verlangte dafür die vermieterseitige Auskunft über die Vormiete. Als sich diese als viel zu hoch erwies (16,66 EUR/m2 statt der ortsüblichen Vergleichsmiete von 7,33 EUR/m2), meinte das Inkassounternehmen, dass der Vermieter seiner Auskunftsverpflichtung nicht nachgekommen sei, da die seinerseits mitgeteilte Vormiete nicht der mieterseitig rechtlich geschuldeten Miete entsprochen habe.
Der BGH meinte dazu, dass es den inhaltlichen Anforderungen der vorvertraglichen Auskunftspflicht genüge, wenn der Vermieter dem Mieter die Höhe der vertraglich vereinbarten Vormiete mitteilt. Keine Verpflichtung treffe ihn über die Angabe der vertraglich vereinbarten Vormiete hinaus, diese auch auf ihre Zulässigkeit nach den gesetzlichen Regelungen zu überprüfen und nur die demnach zulässige Miete mitzuteilen. Der Anspruch auf Mietrückzahlung war hier daher zwar gegeben, fiel aber entsprechend geringer aus als gedacht.
Hinweis: In diesem Fall hatten die Mieter ihren Anspruch an ein Inkassounternehmen abgetreten. Das hat dann versucht, die Ansprüche durchzusetzen. Für Mieter eine verlockende Angelegenheit, da sie häufig nicht mit Kosten belastet werden.
Quelle: BGH, Urt. v. 29.11.2023 - VIII ZR 75/23
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Es gibt sicherlich eine Reihe von Regelungen, die unnütz sind. Die Vorschriften zum Einbau von Rauchwarnmeldern in Wohnungen gehören sicherlich nicht dazu, denn deren Nutzen sollte eigentlich jedem einleuchten. Da sich zwischen "eigentlich" und "tatsächlich" jedoch des Öfteren einige Lücken auftun, konnte erst der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) diese hier bei einem Eigentümer füllen.
Laut Bayerischer Bauordnung muss in Schlafräumen und Kinderzimmern sowie Fluren, die zu Aufenthaltsräumen führen, jeweils mindestens ein Rauchwarnmelder installiert sein. Ein Mann hielt die Vorschrift für verfassungswidrig und berief sich insbesondere auf das Eigentumsrecht, den Gleichheitsgrundsatz und das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung.
Der VGH jedoch hielt die Regelung für durchaus verfassungsgemäß. Erstens war das Eigentumsgrundrecht nicht verletzt. Es werde ein verfassungsrechtlich legitimer Zweck verfolgt - und dessen Zweckerreichung ist in Form der Installation von Rauchwarnmeldern geeignet, erforderlich und vor allem auch verhältnismäßig.
Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung wird durch die Regelung ebenfalls nicht verletzt. Die Vorschrift begründet lediglich bauordnungsrechtlich eine Verpflichtung zur Installation von Rauchwarnmeldern für den Eigentümer.
Schließlich verstieß die Regelung auch nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Dass der Gesetzgeber die Verpflichtung zur Installation dem Eigentümer auferlegt hat, ist sachlich gerechtfertigt. Der Eigentümer ist grundsätzlich für die Verkehrssicherung verantwortlich und zieht zudem Nutzen aus dem Eigentum. Es ist daher sachgerecht, ihm auch die bauordnungsrechtliche Installationspflicht aufzuerlegen.
Hinweis: Vergleichbare Vorschriften wie die in Bayern gibt es mittlerweile in sämtlichen Bundesländern. Überall wird der Eigentümer oder Vermieter zur Installation der Rauchwarnmelder verpflichtet.
Quelle: Bayerischer VGH, Urt. v. 26.10.2023 - Vf. 6-VII-22
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Will der Vermieter die Miete erhöhen, ist dafür häufig die ortsübliche Vergleichsmiete entscheidend. Wie er diese in Erfahrung bringt, war die Kernfrage des folgenden Falls vor dem Amtsgericht Hamburg (AG). Und eines darf vorweggenommen werden: Sich selbst erklärte das AG schon einmal nicht ohne weiteres als dafür zuständig.
Ein Vermieter wollte die Miete erhöhen und reichte vor dem zuständigen AG einen Antrag auf Einholung eines Gutachtens zur ortsüblichen Vergleichsmiete der von der Mieterin bewohnten Wohnung ein. Dabei ging er im sogenannten selbständigen Beweisverfahren vor. Die eigentliche Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung hatte er dabei jedoch noch nicht erhoben. Mit diesem selbständigen Beweisverfahren kam der Vermieter allerdings nicht weiter.
Das AG war der Auffassung, dass es nicht zulässig sei, vor einem Mieterhöhungsverlangen die ortsübliche Vergleichsmiete im Wege des selbständigen Beweisverfahrens klären zu lassen. Es handele sich nicht um eine zwingend gerichtlich zu entscheidende Rechtsfrage. Diese würde erst dann entstehen, wenn der betreffende Mieter das vermieterseitige Mieterhöhungsbegehren inklusive der vermieterseitig eingeholten Informationen und Argumente verweigern würde. Erst dann dürfe auch die Mieterseite mit den Kostenrisiken eines solchen Verfahrens belastet werden.
Hinweis: Der Vermieter kann also die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete nicht auf das Gericht abwälzen. Er muss schon selbst tätig werden und zumindest ansatzweise versuchen, die ortsübliche Vergleichsmiete zu ermitteln. Im Zweifel kann dabei ein Rechtsanwalt helfen.
Quelle: AG Hamburg, Urt. v. 16.01.2024 - 49 H 3/23
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
"Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem and’ren zu" - würde dies stets berücksichtigt werden, wäre der juristische Betrieb ein ruhiges Plätzchen. Da wir aber sind, wie wir nun einmal sind, kommt es zu solchen Fällen wie dem vor dem Landgericht Frankenthal (LG). Hier konnte einer nicht lassen, dem anderen etwas vorzuwerfen, das er selbst auch getan hatte. Und dadurch verwirkte er seinen eigentlich durchaus berechtigten Anspruch.
Es ging um einen Streit zwischen zwei Nachbarn. Direkt entlang der Grundstücksgrenze verlief auf dem Grundstück eines Nachbarn eine 2,20 m hohe Hecke. Sein Nachbar verlangte nun unter Berufung auf das geltende Landesrecht, dass die Hecke auf einer Höhe von maximal 1,5 m gehalten werde.
Grundsätzlich bestätigte das LG, dass Hecken entlang der Grenze eines Grundstücks dem geltenden Nachbarrecht entsprechen müssen. Die Pflanzen dürfen eine bestimmte Höhe nicht überschreiten, und deshalb könne der Nachbar den Rückschnitt auch verlangen. Hier stand dem jedoch der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Es musste berücksichtigt werden, dass auch auf dem Grundstück des Klägers direkt hinter dem Zaun eine 3 bis 4 m hohe Kugelhecke und eine etwa 2,5 m hohe Zypresse gepflanzt waren. Dadurch werde ebenfalls gegen das Nachbarrecht verstoßen. Und wer sich selbst nicht regelgerecht verhält, ist nach Treu und Glauben von Ansprüchen gegen seinen Nachbarn ausgeschlossen.
Hinweis: Wer im Glashaus sitzt, sollte also nicht mit Steinen werfen. Die Richter des Falls haben das Recht weit ausgelegt. Interessengerecht könnte es in solchen Fällen auch sein, dass beide Nachbarn ihre Gehölze zu stutzen haben.
Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 24.01.2024 - 2 S 85/23
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Fälle wie den folgenden werden wir den nächsten Jahren sicherlich häufiger erleben. Denn der insbesondere seitens der Politik seit Jahren verschuldete Wohnungsmangel führt dazu, dass Vermieter Räumungsprozesse zwar gewinnen, Mieter aber dennoch in den Räumen bleiben dürfen. Das Gericht im folgenden Fall urteilt regelmäßig in einem der am stärksten umkämpften Ballungsgebiete - das Landgericht in Berlin (LG).
Eine Vermieterin meldete an einer Mietwohnung Eigenbedarf an und kündigte das Mietverhältnis. Die Mieter suchten in der Folgezeit nach einer anderen Wohnung - erfolglos. Schließlich erhob die Vermieterin eine Räumungsklage - erfolgreich. Und nun?
Das LG war der Auffassung, dass der Eigenbedarfsgrund das Mietverhältnis zwar grundsätzlich beendet habe. Trotzdem ordnete es die Fortsetzung des Mietverhältnisses für die Dauer von zwei Jahren an. Zudem änderte es die bisherigen Vertragsbedingungen von Amts wegen und hob die von den Mietern bisher geschuldete Nettokaltmiete auf ein marktübliches Niveau an. Die Richter stellten darauf ab, dass sich die Mieter nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung über einen Zeitraum von fast zwei Jahren auf eine Vielzahl von Wohnungen im gesamten Berliner Stadtgebiet beworben hatten, jedoch aufgrund der angespannten Lage auf dem dortigen Wohnungsmarkt sowie des nur noch geringen Angebots freier Wohnungen mit ihren Bewerbungen keinen Erfolg hatten.
Hinweis: Das Mietverhältnis bleibt trotz der Anordnung auf Fortsetzung nicht ewig bestehen. Vermieter müssen ihrerseits nur aufpassen, dass es sich nicht faktisch durch ein längeres Verbleiben in der Wohnung fortsetzt, als von der Behörde angeordnet.
Quelle: LG Berlin, Urt. v. 25.01.2024 - 67 S 264/22
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 04/2024)
Zum Thema Verkehrsrecht
- Anscheinsbeweis für Ursächlichkeit: Vermeidbarkeit im nüchternen Zustand spricht gegen alkoholisierten Unfallverursacher
- Geöffnete Autotür: Wann beim Passieren mindestens 1 m Seitenabstand eingehalten werden muss
- Kein abhilfebedürftiger Zustand: Kein Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten bei 5 cm tiefem Schlagloch
- Sturmbedingter Baumfall: Kein Anscheinsbeweis für Verletzung der Verkehrssicherungspflicht
- Zwei einmonatige Fahrverbote: Zwei Abstandsverstöße in sechs Wochen sprechen für beharrliche Delinquenz des Betroffenen
In diesem Fall haben sich beide Verkehrsteilnehmer nicht korrekt verhalten. Nachdem die erste Instanz daher urteilte, dass beide Parteien für die Folgen hälftig zu haften haben, musste sich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) erneut mit der Sache befassen und bewerten, ob es sich hierbei um eine Verkehrslage gehandelt haben könnte, die ein nüchterner Fahrer hätte meistern können.
Die Klägerin nimmt den Beklagten unter anderem auf Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. Der Beklagte fuhr innerorts mit seinem Fahrzeug alkoholisiert mit 0,96 ‰. Die Klägerin überquerte mit weiteren vier Personen die vom Beklagten befahrene Straße. Noch bevor die Klägerin eine Verkehrsinsel erreichte, wurde sie vom Fahrzeug des Beklagten erfasst, in die Höhe geschleudert und erlitt diverse schwere Verletzungen. Erstinstanzlich wurde eine Haftungsquote von 50/50 festgelegt.
Die Berufung der Klägerin hatte vor dem OLG teilweise Erfolg: Der Senat entschied auf eine Haftungsquote von 75/25 zugunsten der Klägerin. Der Beklagte habe gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot verstoßen und nicht gebremst, obwohl das Betreten der Fahrbahn durch die Klägerin dies erforderte. Der erheblich alkoholisierte Beklagte habe nicht auf ein verkehrsgerechtes Verhalten der Klägerin vertrauen dürfen, da die Klägerin für ihn ersichtlich entgegen ihrer Verpflichtung, den Fahrzeugverkehr zu beachten, die Straße überquerte. Der Beklagte habe zudem die entscheidende Ursache für den Unfall gesetzt. Es sei davon auszugehen, dass ihm der Verkehrsverstoß unterlaufen sei, da er alkoholisiert gewesen sei. Insoweit spreche ein Anscheinsbeweis für die Ursächlichkeit in der Trunkenheit, wenn der Unfall sich in einer Verkehrslage und unter Umständen ereignet, die ein nüchterner Fahrer hätte meistern können. Angesichts der freien Sicht für den Beklagten bestand somit hier kein Zweifel, dass "ein nüchterner Fahrer die Gruppe um die Klägerin wahrgenommen und rechtzeitig gebremst hätte". Dennoch musste sich die Klägerin ein Mitverschulden in Höhe von 25 % anrechnen lassen, da der Beklagte für sie erkennbar gewesen sei, als sie die Fahrbahn betreten habe.
Hinweis: Das Führen eines Kraftfahrzeugs in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand ist als grober Verstoß gegen die Grundsätze der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt anzusehen. Bei der Haftungsabwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nach § 17 Straßenverkehrsgesetz bleibt die alkoholische Beeinflussung eines Unfallbeteiligten nur dann außer Betracht, wenn feststeht, dass sie sich nicht unfallursächlich ausgewirkt hat.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 25.01.2024 - 26 U 11/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Normalerweise gilt für Autofahrer beim Passieren eines parkenden Fahrzeugs, dass ein Mindestabstand von rund einem halben Meter eingehalten werden muss. Dass man sich darauf nicht stützen kann, wenn sich am geparkten Fahrzeug offensichtlich etwas tut, zeigt der folgende Fall, der in zweiter Instanz vor dem Landgericht Saarbrücken (LG) landete.
Die Frage, die das LG zu klären hatte: Wiegt die Gefährdung des Verkehrs durch eine geöffnete Autotür genauso schwer wie die offensichtliche Unterschreitung des geboteten Abstands des passierenden Fahrzeugs? Die Autotür überlebte die betreffende Begegnung nämlich nicht. Denn der Autofahrer kollidierte mit der geöffneten Fahrzeugtür des am Straßenrand geparkten Pkw. Dessen Halter hatte die hintere Tür auf der Fahrerseite offengelassen, um das Auto zu beladen. Er verlangte dann als Kläger Schadensersatz vom Halter des vorbeifahrenden Fahrzeugs. Das in erster Instanz zuständige Amtsgericht sah das Verschulden beider Fahrer hier jedoch als gleichwertig an und verteilte die Schuld daher hälftig. Dagegen legte der Kläger jedoch Berufung ein - er bekam in der zweiten Instanz Recht.
Das LG urteilte, dass dem Kläger voller Schadensersatz zustehe. Zwar habe er durchaus gegen die Pflicht verstoßen, sich beim Ein- und Aussteigen so zu verhalten, dass keine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer besteht. Der schwerer wiegende Teil traf jedoch den vorbeifahrenden Autofahrer. Diesem sei vorzuwerfen, keinen ausreichenden Abstand zu dem parkenden Auto eingehalten zu haben. Grundsätzlich reiche zwar ein Seitenabstand von rund 50 cm zu einem geparkten Auto aus. Stehe aber auf dem Seitenstreifen ein Auto mit geöffneter Fahrzeugtür, müsse man damit rechnen, dass die Tür noch weiter geöffnet werde. Und dann reiche beim Vorbeifahren ein Abstand von unter 1 m nicht aus. Das Gleiche gelte, wenn eine Person an der geöffneten Tür erkennbar sei - etwa beim Aussteigen oder wie hier beim Beladen des Fahrzeugs.
Hinweis: Das Verschulden des Vorbeifahrenden überwiegt in diesem Fall. Daher haftet er trotz des beiderseitigen Verkehrsverstoßes allein für den Unfallschaden. Es war von Weitem erkennbar, dass die Autotür geöffnet war. Der parkende Autofahrer habe darauf vertrauen dürfen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer darauf einstellen.
Quelle: LG Saarbrücken, Urt. v. 10.11.2023 - 3 S 8/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Details der Verkehrssicherungspflicht müssen immer wieder gerichtlich dargelegt werden. Denn nicht immer können andere verantwortlich gemacht werden, sobald man einen Schaden erleidet. So mussten im Fall des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) die sogenannte gebotene Aufmerksamkeit und Vorsicht einbezogen werden, die von einem Motorradfahrer auf einer Bundesstraße erwartet werden darf.
Der Biker befuhr eine Bundesstraße und geriet mit seiner Maschine dabei in ein Schlagloch, das dessen Vorderrad beschädigte. Die Reparaturkosten beliefen sich auf ca. 2.100 EUR netto. Das Schlagloch, das sich mittig auf dem rechten Fahrstreifen befand, wies nach Auffassung des Klägers ein Ausmaß von 5 bis 8 cm Tiefe auf. Der Mann verlangte daraufhin Schadensersatz wegen einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Straßenbaulastträger, der sich im Bereich der Bundesstraße für die Reparaturpflicht verantwortlich zeichnete.
Das OLG hielt die Klage jedoch für unbegründet. Schon nach den eigenen Darlegungen des Klägers lag kein verkehrswidriger Zustand vor, der ein unmittelbares Tätigwerden der beklagten Gemeinde erfordert hätte. Ein Schlagloch von - unterstellt - allenfalls 5 bis 8 cm genügt hierfür für sich genommen nicht. Und auch die geschätzte Spanne statt einer auf einer Messung basierenden Angabe sprach nicht für eine fundierte Argumentation. Für die Bewertung konnte daher lediglich eine Tiefe von 5 cm angenommen werden. Zur weiteren Beschaffenheit und Ausdehnung des Schlaglochs konnte der Kläger ebenfalls nichts vortragen. Zugrunde zu legen sind deshalb die Ausführungen der Beklagten, wonach das Schlagloch ausgemessen ca. 30 × 16 cm groß und 4 cm tief gewesen sei. Eine Verkehrssicherungspflicht des Straßenbaulastträgers in Form einer Reparaturpflicht besteht ohne Hinzutreten weiterer Umstände bei einem Schlagloch in der Straße aber erst, wenn es auf einer verkehrswichtigen Straße eine Tiefe von mindestens 15 cm aufweist. Zumindest liegt ein abhilfebedürftiger Zustand nicht schon bei einer Tiefe von 5 bis 8 cm vor. Mit derartigen Schlaglöchern muss auch auf vielbefahrenen und verkehrswichtigen Straßen in Schleswig-Holstein gerechnet werden.
Hinweis: Zu berücksichtigen war zudem, dass das Schlagloch ausweislich der vom Kläger eingereichten Lichtbilder mittig auf der Fahrbahn und somit gut zu erkennen war. Der Kläger hätte bei gebotener Aufmerksamkeit, einem ausreichenden Abstand und einer angepassten Geschwindigkeit das Schlagloch rechtzeitig erkennen und ausweichen können. Zudem gilt auch für Motorradfahrer das Rechtsfahrgebot (gem. § 2 Abs. 2 Straßenverkehrs-Ordnung).
Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 14.11.2023 - 7 U 114/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Die folgende Fallkonstellation wird sich angesichts der sich ändernden klimatischen Bedingungen wohl in ähnlicher Weise künftig häufen. Denn hier landete während eines Unwetters ein Baum auf einem geparkten Auto, das glücklicherweise unbesetzt war. Das Amtsgericht München (AG) musste bewerten, inwieweit dieser Vorfall in Zusammenhang mit der Baumpflege und der Verkehrssicherungspflicht gesetzt werden konnte.
Die Klägerin hatte ihren Pkw auf einer öffentlichen Straße gegenüber dem Parkhaus geparkt, für das die Beklagte die Verkehrssicherungspflicht und die Baumpflege übernommen hatte. Ein auf dem Gelände des Parkhauses stehender Laubbaum stürzte während eines Unwetters um und fiel mit der Krone auf den Pkw der Klägerin. Die Klägerin war nun der Auffassung, die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht im Hinblick auf die Baumpflege verletzt, da für sie feststand, dass der Baum eine Vorschädigung gehabt haben müsse, um dem Sturm derart erst zum Opfer zu fallen und in der Folge auf ihr Auto.
Das AG hat die Klage abgewiesen. Der Klägerin war es nicht gelungen, nachzuweisen, dass die Beklagte ihre - durchaus bestehende - Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des gefallenen Baums verletzt habe. Sie konnte dabei aber keinerlei Anhaltspunkte dafür vortragen, dass der Baum vorgeschädigt war und die Beklagte dies hätte erkennen müssen. Beides sei jedoch für eine Haftung der Beklagten erforderlich. Die vorgelegten Lichtbilder zeigten die Überreste des Baums lediglich aus der Entfernung - Schäden oder Krankheitszeichen waren darauf nicht erkennbar. Es war nicht einmal bekannt, ob der Baum abgebrochen sei oder gar entwurzelt wurde. Die Beklagte konnte ihrerseits jedoch nachweisen, dass die auf dem Gelände des Parkhauses stehenden Bäume regelmäßig durch Mitarbeiter kontrolliert, gewässert und geschnitten wurden. Doch auch, wenn man diese Pflege nicht für ausreichend erachten würde: Eine Haftung der Beklagten käme trotzdem nicht in Betracht. Selbst wenn die Bäume gar nicht kontrolliert worden wären, wäre dies für das Schadensereignis nur kausal, wenn eine regelmäßige Besichtigung zur Entdeckung der Gefahr bzw. der Schädigung des Baums hätte führen können. Denn auch ein gesunder Baum kann bei einem Unwetter abbrechen oder entwurzelt werden.
Hinweis: Dem Geschädigten obliegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht nur der Nachweis für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht an sich, sondern auch der Nachweis, dass bei zumutbarer Überwachung der Bäume ihre Schädigung entdeckt worden wäre. Weder besteht ein Anscheinsbeweis dahingehend, dass ein bei Unwetter umfallender Baum vorgeschädigt sein muss, noch sieht das Gesetz eine Gefährdungshaftung für Bäume vor. Nach der Rechtsprechung des BGH ist die abstrakte Baumgefahr als naturbedingt hinzunehmen.
Quelle: AG München, Urt. v. 19.07.2023 - 113 C 18489/22
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Warum der Pkw-Fahrer im folgenden Fall zweimal innerhalb kürzester Zeit denselben Verstoß begangen hat, kann nur gemutmaßt werden. Fest allerdings steht, dass das Amtsgericht Frankfurt am Main (AG) nicht davon absehen wollte, für den erneuten gleichgelagerten Verstoß innerhalb kürzester Zeit auch zum zweiten Mal ein Fahrverbot zu verhängen. Dass der Mann mit einem Urteil für beide Verstöße billiger weggekommen wäre, blieb hierbei allein seine Vermutung.
Ein Autofahrer hatte den Mindestabstand zum Vorausfahrenden unterschritten, wurde dabei erwischt und kassierte dafür ein Fahrverbot von einem Monat. Der Blitz schlägt nicht zweimal an derselben Stelle ein, dachte sich der Mann vielleicht und befuhr den betreffenden Straßenabschnitt sechs Wochen später erneut mit einem zu geringen Abstand zum nächsten Fahrzeug - laut Feststellungen des AG mit weniger als 3/10 des halben Tachowerts. Nachdem das erste Fahrverbot durch den Betroffenen zum Zeitpunkt der nun durchgeführten Hauptverhandlung bereits vollständig verbüßt war, traf man sich nun vor dem AG wieder, das gegen den Betroffenen wegen der Abstandsunterschreitung ein Bußgeld nebst einem weiteren einmonatigen Fahrverbot verhängt hatte. Das wollte der Betroffene so nicht hinnehmen. Schließlich habe er gerade eine derartige Strafe verbüßt, und er fühlte sich durch die getrennte Ahndung der beiden Verstöße benachteiligt. Wären beide zusammen verhandelt worden, wäre schließlich nur eine Aburteilung erfolgt.
Dass der Betroffene in der Zwischenzeit bis zur Verhandlung bereits ein Fahrverbot wegen einer kurz zuvor an derselben Stelle begangenen Abstandsunterschreitung verbüßt hatte, war in Augen des AG jedoch kein ausreichender Grund, von dem weiteren Fahrverbot abzusehen. Das Fahrverbot solle schließlich als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme für den jeweiligen Verkehrsverstoß auf den Betroffenen spezialpräventiv wirken. Diese Funktion werde unterlaufen, wenn nun von dem Fahrverbot abgesehen werde. Laut Gericht entstand dem Betroffenen auch kein Nachteil - insbesondere, weil hier ein zweimonatiges Fahrverbot tat- und schuldangemessen gewesen wäre.
Hinweis: Der Betroffene wurde durch die getrennte Ahndung der beiden Verkehrsverstöße auch nicht schlechter gestellt, als wären beide Taten in einem Gerichtstermin verhandelt worden. Zwar hätte bei einer gemeinsamen Aburteilung der beiden Verstöße nur ein Fahrverbot festgesetzt werden können. Wegen der besonders beharrlichen Delinquenz des Betroffenen - zwei Abstandsunterschreitungen innerhalb von sechs Wochen - wäre jedoch auch dann ein zweimonatiges Fahrverbot angemessen gewesen.
Quelle: AG Frankfurt am Main, Urt. v. 17.11.2023 - 971 OWi 916 Js 59363/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Zum Thema Sonstiges
- Die diplomatische Mission: Demonstration: ja - Projektion auf Botschaftsgebäude: nein
- Frage mit Grundsatzbedeutung: BGH könnte Ladenöffnungs- und Feiertagsgesetz für Apotheken zu Fall bringen
- Kein Schaden, kein Geld: Kein Anspruch auf Ausgleichszahlung, wenn trotz Flugverspätung kein Zeitverlust entsteht
- Pädagogischer Beurteilungsspielraum: Schule darf schlagendem Schüler Teilnahme an Klassenfahrt verweigern
- Wohnsitz im EU-Ausland: Verweigerung von Personalausweis aus EU-Heimatland verstößt gegen Unionsrecht
Selbstverständlich macht die Weltpolitik auch vor deutschen Gerichten keinen Halt. Das Verwaltungsgericht Berlin (VG) musste nicht nur die Demonstrationsfreiheit, sondern auch die staatlichen Pflichten aus dem Wiener Übereinkommen zu diplomatischen Beziehungen in seine Entscheidung miteinbeziehen. Und dabei spielte die "Würde der diplomatischen Mission" und deren Wahrung die entscheidende Rolle.
Ein Verein hatte für den 24.02.2024 zu einer Versammlung vor der russischen Botschaft in Berlin aufgerufen - das Thema war "Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, zwei Jahre seit dem Beginn der Vollinvasion". Dabei wollte der Verein Bilder und Videos auf das Botschaftsgebäude projizieren. Die Polizei Berlin, die keine Bedenken gegen die Versammlung als solche äußerte, untersagte dem Verein jedoch das Anstrahlen des Gebäudes. Dagegen erhob der Verein einen Eilantrag beim VG - vergeblich.
Die geplante Projektion von Bildern und Videos auf Gebäudeteile der Botschaft verletze laut VG die Würde der diplomatischen Mission. Nach dem Wiener Übereinkommen vom 18.04.1961 über diplomatische Beziehungen treffe den Empfangsstaat die besondere Pflicht, alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um die Räumlichkeiten einer diplomatischen Mission vor jedem Eindringen und jeder Beschädigung zu schützen. Auch müsse der Empfangsstaat verhindern, dass der Friede der Mission gestört oder ihre Würde beeinträchtigt wird. Friedliche Demonstrationen vor diplomatischen Vertretungen sind zwar grundsätzlich zulässig - das Anstrahlen der Botschaft mit Bildern und Videos berge jedoch die Gefahr, dass der Mission eine von ihr nicht geäußerte oder gebilligte Meinung unzutreffend zugeschrieben wird. Und eben dies verletze die Würde der Mission.
Hinweis: Und weil alles so eilig war, hat sowohl das Berliner Oberverwaltungsgericht bereits am 21.02.2024 als auch schließlich das Bundesverfassungsgericht am 23.02.2024 den Beschluss des VG auch so bestätigt.
Quelle: VG Berlin, Beschl. v. 20.02.2024 - VG 1 L 57/24
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Ausgerechnet Medikamente dürfen an Sonn- und Feiertagen nicht bis an die Tür geliefert werden. So bleibt Menschen mit dringendem Bedarf dann auch nur der Gang zu den Notapotheken. Das Oberlandesgericht Köln (OLG) hatte auf Betreiben eines Wettbewerbsvereins die Zusammenarbeit eines Apothekers mit einer Lieferdienst-App zu bewerten. Und das warf die generelle Frage auf, wie mit Apothekenöffnungen an Sonn- und Feiertagen generell zu verfahren ist.
Ein Apotheker kooperierte mit einem Apothekenlieferservice. Der Lieferservice betrieb eine App, über die Verbraucher Produkte bestellen konnten, die bei der jeweiligen Apotheke abgeholt und noch am Tag der Bestellung ausgeliefert werden. Der Apotheker nutzte diesen Dienst auch an Sonn- und Feiertagen, doch ein Wettbewerbsverein sah darin ein Problem. Er forderte vom Apotheker gerichtlich eine Unterlassung und die Erstattung von Abmahnkosten, weil der Apotheker gegen das Ladenöffnungs- und das Feiertagsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen verstoße. Es gebe schließlich keine Vorschrift, die Apotheken die uneingeschränkte Befugnis verleihe, an Sonn- und Feiertagen ihre Dienstbereitschaft unabhängig von ihrer Notdiensteinteilung zu versehen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben - die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten blieb vor dem OLG erfolglos. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Hier bleibt es also spannend.
Hinweis: Die Richter haben erkannt, dass es zahlreiche andere Meinungen von Juristen zu diesem Problemkreis gibt und sowohl die Apothekenbetriebsordnung als auch die Ladenöffnungsgesetze der einzelnen Bundesländer hierzu keine abschließende Regelung für Apothekenöffnungen an Sonn- und Feiertage beinhalten.
Quelle: OLG Köln, Urt. v. 12.01.2024 - 6 U 65/23
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Wer einen Schaden erleidet, hat Anspruch auf eine Ausgleichszahlung. Weil es jedoch naturgemäß sehr unterschiedliche Empfindungen geben kann, wann ein Schaden überhaupt auftritt und somit auch ersatzfähig ist, müssen Gerichte entscheiden, ab wann ein infrage stehender Anspruch eintritt. Der Bundesgerichtshof (BGH) wandte sich hier an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), der den erlittenen Schaden durch eine Flugverspätung einschätzen musste.
Zwei Fluggäste hatten einen Flug von Düsseldorf nach Palma de Mallorca gebucht, für den schließlich eine Verspätung von mehr als drei Stunden angekündigt wurde. Daraufhin traten die beiden den Flug mit der gebuchten Maschine erst gar nicht an - der eine blieb gleich zu Hause, der andere buchte auf einen Flug um, der es ihm ermöglichte, mit einer geringeren Verspätung als den drei Stunden am Zielort einzutreffen. Nun wollte der BGH vom europäischen Kollegen wissen, wie sich die Rechtslage in Sachen Ausgleichszahlung verhält. Die Frage: Hatten die beiden überhaupt einen Schaden erlitten, den es zu ersetzen gibt?
Der EuGH sagt: Nein, haben sie nicht. Die Regelung verfolgt den Zweck, Passagiere verspäteter Flüge jenen Fluggästen gleichzusetzen, deren Flüge komplett ausfallen. Ein mehrstündiger Zeitverlust sei nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH schließlich mit dem Ärgernis eines ausgefallenen Flugs vergleichbar. Wenn sich der Fluggast eines mit großer Verspätung angekommenen Flugs aber erst gar nicht zum Flughafen begibt oder sich gleich um einen Ersatz kümmert, der ihm den Zeitverlust verkürzt, hat er keinen Anspruch auf eine pauschale Ausgleichszahlung. Denn ein Schaden des Zeitverlusts könne unter diesen Umständen nicht festgestellt werden.
Hinweis: Hat ein Flugzeug eine Verspätung, spricht grundsätzlich viel dafür, dass der Fluggast eine Ausgleichszahlung erhalten kann. Ob und unter welchen Voraussetzungen das der Fall ist, weiß der Rechtsanwalt.
Quelle: EuGH, Urt. v. 25.01.2024 - C-474/22
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Immer häufiger haben sich Gerichte mit schulinternen Angelegenheiten zu beschäftigen. Doch nicht alles, was subjektiv beklagenswert erscheint, ist es auch im rechtlichen Sinn. Denn dass Schulen ihre Schüler nach Verstößen sanktionieren dürfen, unterliegt einem gewissen Ermessungsspielraum. Dieser hat natürlich auch Grenzen - im Fall des Verwaltungsgerichts Berlin (VG) waren diese jedoch nicht berührt.
Ein Junge besuchte die 9. Klasse einer Oberschule in Berlin-Spandau. Nachdem der Schüler bereits mehrfach auffällig geworden war, schlug er im Dezember 2023 schließlich einem Mitschüler mit der flachen Hand ins Gesicht. Die Klassenkonferenz beschloss daraufhin, den Jungen von einer bevorstehenden Skifahrt nach Südtirol auszuschließen. Dagegen gingen der Schüler und seine sorgeberechtigte Mutter gerichtlich vor. Sie meinten, die Maßnahme sei unverhältnismäßig - außerdem diene eine Klassenfahrt gerade auch der Pflege der sozialen Kontakte, was bei der Entscheidung keine Berücksichtigung gefunden habe.
Das sah das VG allerdings anders und wies den Eilantrag zurück. Wer einem Mitschüler ins Gesicht schlage, dürfe durchaus von einer Klassenfahrt ausgeschlossen werden. Bei der Verhängung einer Ordnungsmaßnahme komme der Schule nämlich ein gewisser pädagogischer Beurteilungsspielraum zu, der nur einer begrenzten gerichtlichen Kontrolle unterliege. Und nach exakt diesem Maßstab war die Entscheidung gerichtlich auch nicht zu beanstanden.
Hinweis: Gegen den Beschluss kann noch Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erhoben werden. Vieles spricht jedoch dafür, dass die Entscheidung richtig ist. Wer Gewalt anwendet, muss Konsequenzen befürchten.
Quelle: VG Berlin, Beschl. v. 24.01.2024 - 3 L 61.24
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(aus: Ausgabe 04/2024)
Ob Menschen, die im EU-Ausland wohnen, einen Anspruch auf einen Personalausweis aus ihrem EU-Heimatland haben, musste der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf Anfrage eines rumänischen Gerichts prüfen.
Ein rumänischer Rechtsanwalt hatte seit 2014 seinen Wohnsitz in Frankreich und war beruflich sowohl in Rumänien als auch in Frankreich tätig. Dann beantragte er bei den rumänischen Behörden die Ausstellung eines Personalausweises, der zugleich ein Reisedokument darstellt. Dieser Antrag wurde von der zuständigen rumänischen Behörde allerdings mit der Begründung abgelehnt, dass er seinen Wohnsitz im Ausland habe und die dortige Wohnadresse nicht einfach zu überprüfen sei. Das zuständige rumänische Gericht fragte nun beim EuGH nach, ob die Entscheidung der rumänischen Behörde gegen Unionsrecht verstoßen habe.
Der EuGH urteilte eindeutig: Es verstößt gegen EU-Recht, wenn ein Mitgliedstaat einem seiner Staatsangehörigen die Ausstellung eines als Reisedokument geltenden Personalausweises zusätzlich zu einem Reisepass allein deshalb verweigert, weil er seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat. Dies würde sonst eine unzulässige Beschränkung der EU-Freizügigkeit darstellen und die Gleichbehandlung der in einem anderen Mitgliedstaat lebenden mit den im Inland wohnenden Staatsangehörigen unterlaufen. Denn wenn es in Rumänien lebenden Staatsbürgern ohne weiteres möglich ist, sowohl einen Reisepass als auch Personalausweis zu beantragen, muss dies Rumänen auch möglich sein, die im EU-Ausland wohnen.
Hinweis: Natürlich gilt dieses Urteil nur für EU-Bürger. Menschen aus Ländern außerhalb der EU können sich nicht auf dieses Urteil berufen.
Quelle: EuGH, Urt. v. 22.02.2024 - C-491/21
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(aus: Ausgabe 04/2024)